Das Rasselchen

Es ist Dezember, kurz vor Weihnachten. Die Verwandtschaft trifft sich zur Geburtstagsfeier.
Die Vorbereitungen zu solch einem Ereignis sind umfänglich. Ein willkommenes Ereignis in einer dörflichen Umgebung. Ein nachmittägliches üppiges Kuchenbuffet ist obligatorisch.
Buttercremetorten, Sahnetorten in beachtlicher Höhe werden hergestellt.
Der Stolz für jede Hausfrau.
Er erinnert sich an ein hämmerndes, sägendes Geräusch zu früher Morgenstunden, welches ihn weckte.
Hervorgerufen durch den Handmixer der wohl starken Kontakt zur Rührschüssel hatte. Dazu der Geruch von Sahne, Vanille, und heiß gelaufenem Elektromotor.
Noch verschlafen und im Pyjama stieg er die Treppen hinunter, öffnete die Küchentür. „Zieh dich erst Mal an.“ sagte Großmutter. Mutter und Tante nickten beifällig ohne die Arbeit zu unterbrechen.
Großvater saß im Sessel und rasierte sich ebenfalls elektrisch. Das ergab ein unnachahmlichen Geräuschkonzert, das Ihn noch Jahrzehnte an die Weihnachtszeit erinnerte.


Abends dann ein deftiges Geburtstagsessen. Der Höhepunkt einer jeden Familienfeier. Kartoffelsalat, Nudelsalat immer. Bratwürste und heiße Fleischwurst ebenfalls. Das Highlight aber immer Pumpernickel dick mit Margarine bestrichen und mit Scheiblettenkäse belegt, mindestens in drei Schichten. Das ganze in längliche kleine Quadrate geschnitten und nach dem Essen zum Bier oder zum Wein gereicht.

Der Wein eine wirklich süße Plörre, Marke Himmlisch Moseltröpfchen oder Kröver Nacktarsch.
Zum Schluss noch, vor allem zur Weihnachtszeit, selbstgemachte Plätzchen aller Art die himmlische nach Butter, Vanille und Nüssen schmeckten.


Dergestalt gesättigt folgte auch er den Gesprächen der Gäste.
Für die Frauen ganz typisch, eigene Krankheiten die der Nachbarn und Bekannten. Die schulischen Leistungen der Kinder, in Frühling dann der Zustand des eigenen Gemüsegartens.
Und schließlich, in aller Ausführlichkeit, Dorfklatsch jeglicher Art.


Bei Männern hingegen war deren Mitteilungsbedürfnis eher übersichtlich. Bei den Alten wars der Krieg und Ihre Arbeit im benachbarten Siegerland als Maurer. Noch viele Jahre später glaubte er tatsächlich, das alle arbeitsfähigen Männer Maurer waren und im Siegerland arbeiteten.

Oft später dann, das Essen war schon im Gange kam, nun nennen wir Ihn Ottmar R.i.p
Er betrat das Wohnzimmer, ihm war anzumerken, dass im solche öffentlichen Auftritte deutlich überforderten und sagte:
Nichts.
Was niemanden wunderte. „Ottmar willst du noch Kuchen?“ „Das fehlt noch!“ sagte er.


Er schaute sich um und setzte sich dahin wo noch Platz war. Frauen reichten Ihm Teller und Besteck und rückten Ihm die deftigen Speisen zurecht. „Lass es Dir schmecken!“ Ottmar delektierte sich bereits, nickte nur und öffnete die bereitstehenden Bierflasche.
All das geschah ganz beifällig, niemand nahm Notiz davon.
Einige Flaschen Bier später wurde Ottmar redseliger.


Sein Blick hellte sich dann deutlich auf und bekam dann bald etwas wehmütiges und verschämtes.


Er habe mal bald nach dem Kriege ein Flüchtlingsmädchen gekannt. Sie sei schlank gewesen. Dunkle Haare, ein Lockenkopf. Immer unternehmungslustig zu Späßen und Streichen aufgelegt. Eine gute Tänzerin.

Man nannte sie „Rasselchen.“
Alle jungen Männer seien hinter ihr her gewesen. Sie wäre dann aber von einem Katholiken weggeschnappt worden. „Von einem Sudetengauner!“ wie er sagte. Das dieses junge Mädchen wohl die Liebe seines Lebens gewesen ist erwähnte er mit keinem Wort.

Ottmar ist ledig geblieben. Wohnt mit seiner Schwester zusammen, die ihn versorgt.

Wieviel wiegt ein Kilo Schnee?

Er war steht’s in tadelloser gekleidet.
Schlank, recht groß von Statur, graues Haupthaar, markantes Gesicht, betonte Kinnpartie. R.i.P
Eine attraktiver Mann im besten Alter.
Steht’s moderne Krawatte, weißes Hemd sehr gut sitzendes Jackett meistens in hellen Grautönen, Die Hose dazu passend, elegant eng geschnitten in der Regel ein wenig heller als das Jackett. Der Gürtel zur Hose immer elegant, echtes Leder niemals auffällig.
In seiner ganzen Erscheinung elegant, seriös aber nie konservativ.
Alles in allem eine sympathische Erscheinung.


Vor allem die Frauen konnte er bezaubern.
Es wurde berichtet, das weibliche Mitarbeiterinnen, verließen Sie besprechungshalben sein Büro immer ganz glücklich und leuchtenden Augen die Stufen herunterschwebten. Dies soll keinesfalls despektierlich gemeint sein.
Er wirkte auf seine Weise, nun man kann sagen in einem gewissen Sinne charismatisch.


Ein Machtmensch, nein das war er nicht. Vielmehr liebte er die öffentlichen Auftritte um zu gefallen, um sein Ego zu streicheln.
Dann glänzte er, redete verständlich benutzte keine Fremdwörter, steht’s souverän und elegant im Auftreten.
Er liebte es die Zustimmung zu fühlen, steigerte seine Freundlichkeit noch und kam um so besser an. Er umgarnte seine Zuhörerschaft die Ihn dafür bewunderten.
Seine innere Anspannung verbarg er. Nur gelegentlich auftretende Schweißflecken unter den Achseln zeugten davon. Aus diesem Grunde vermied er steht’s sich bei solche Auftritten seines Jacketts zu entledigen.


Auf Kritik hingegen reagierte er äußerst dünnhäutig. Er verlor sehr schnell seine Kontenence, es bröckelte merklich, von smartem souveränem Auftreten blieb nichts.
Er wurde laut, verletzend, persönlich, drohte.


Wagt man, nach Fritz Riemann eine Einordnung seiner Persönlichkeit wäre folgendes zu konstatieren:


Hysterische Persönlichkeiten
 Sie erfreuen sich, wie Riemann es nannte, an dem „Zauber des Neuen“, suchen das Risiko, streben nach Freiheit und Veränderung und haben besondere Freude daran, Unbekanntes zu entdecken. Wird dieses Streben überwertig, stellen sich Angst vor Endgültigkeit und Unausweichlichkeit, vor Notwendigkeiten und Begrenztheit ein. Charakteristisch für diese Persönlichkeiten ist ein „kurzer Spannungsbogen“.Jeder Impuls, jeder Wunsch muss möglichst sofort befriedigt werden, weil Warten unerträglich ist. Darin liegt ihre große Verführbarkeit – sie können Versuchungen schwer widerstehen.
Mit einer „erstaunliche[n] Naivität“ würden diese Menschen an Patentlösungen und gern auch Wunder glauben, weil sie helfen, einer Wirklichkeit zu entkommen, die Grenzen setzt und die Freiheit einschränken kann. Über die Konsequenzen eigenen Tuns mögen sie sich keine Klarheit verschaffen und neigen dazu, sich ihnen ideenreich zu entziehen. Pünktlichkeit und planvolles Handeln halten sie für kleinlich, Verantwortungsübernahme für verzichtbar und den unverkennbar die eigene Endlichkeit anzeigenden Alterungsprozess versuchen sie durch jugendtümliches Verhalten und entsprechende Kleidung zu verleugnen. In ihrer Angst versuchen diese Menschen möglichst alles in der Schwebe zu halten und für relativ zu erklären. Und weil sie dem Augenblick den Vorzug vor Kontinuität geben, spielen sie Rollen und laufen Gefahr, eines Tages nicht mehr zu wissen, „wer sie selbst sind“.

In der Liebe seien hysterische Persönlichkeiten nach Riemann leidenschaftlich und fordernd, stets auf grenzüberschreitende Erfahrungen bedacht, aber wenn sie allein sind, langweilen sie sich schnell. Als Partner sind sie phantasievoll und verspielt, doch selten treu. In ihren Beziehungen könne der hysterische Mensch sein Gegenüber nicht als eigenständig anerkennen, sondern versteht ihn als „Spiegel, in dem er sich als liebenswert gespiegelt sehen will“. Es finde sich eine Neigung zur narzißtischen Partnerwahl, weil im Partner gesucht wird, was im Selbst nach Bestätigung verlangt.

Aggression stehe bei hysterischen Persönlichkeiten im „Dienst des Geltungsstrebens“. Diese Menschen rivalisieren und konkurrieren gern. Sie wollen andere Menschen beeindrucken und übertreiben dabei nicht selten. Weil Selbstkritik und Selbstkontrolle nicht zu ihren Stärken gehören, sind sie auch in ihrem aggressiven Verhalten recht impulsiv und ungesteuert. In Auseinandersetzungen überrumpeln sie gern und würden, so Riemann, nach dem Motto Angriff ist die beste Verteidigung handeln. Wegen ihres leicht störbaren Selbstwertgefühls sind sie schnell kränkbar und reagieren auf subjektiv erlebte Kränkungen recht heftig, auch mit Vorwürfen, die mit der Sache nichts zu tun haben.“ Quelle: Fritz Riemann Grundformen der Angst 1974

An einem kalten Novembernachmittag. Es ist zugig und nasskalt in den Straßen der Stadt. Ein kalter Wind weht von Nordost die städtische Durchgangsstraße entlang. Er treibt nasse Schneeflocken vor sich her. Der vor Tagen schon gefallene Schnee liegt schwer und schmutzig zusammengeschoben am Strassenrand und auf den Gehsteigen.
Eine Autoschlange bewegt sich träge die Strasse entlang. Ein Lindwurm bunt in allen Farben zwischen gelb und rot flackernd.
Im festen Rythmus stoppt er zuweilen an Ampelanlagen um sich dann wieder ebenso träge in Bewegung zu setzen.
Abgasschwaden wabern aus den Auspuffanlagen von Autos und Bussen. Es riecht nach unverbranntem Diesel, Teer, und zuweilen wiederlich nach Ammoniak der den Kanaldeckeln entsteigt. Es ist dieser typische Stadtgeruch der in den Wintermonaten vielen Innenstädten eigen ist.


Nun, dunkles Sakko, hellere Beinkleider, weißes Hemd, Krawatte passend, ein hellbrauner dezent gemusterter Schal, modisch drapiert um den Hals.
Wie immer perfekt gekleidet, erscheint er.
Er hatte das gegenüber liegende Parkhaus benutzt um seinen Dienstwagen zu parken. Links bei Ihm eingehängt, eine junge Frau sehr attraktiv, brünett mit einem modischen Mäntelchen gekleidet, ein dezenter Pelzbesatz umrahmten die Kapuze, die Sie keck zur Hälfte über Ihren hübschen Kopf gezogen hatte.
Das Pärchen unterhielt sich angeregt, zuweilen blickten Sie sich an und lächelten.


Über die Brücke hinweg, links ein Kinogebäude, ganz in Glas, in postmoderner Grossstadt Architektur gestaltet.
Es war diese Form der Architektur, die sich immer mehr breitmachte um auch in der Provinz einen großstädtischen Flair zu suggerieren.
Ein Architektur bei der die Wirkung auf den Hinschauenden im Vordergrund stehen soll.
Also nicht:
Form follows function, sondern im Gegenteil, Function follows Form.
Eine Architektur die auf Wirkung auf den Menschen ausgelegt ist. Ob sich Menschen in so einem Gebäude wohlfühlen ist zweitrangig.


Rechts gleich daneben ein Dönerladen der eher gehobenen Klasse.
Nun nur noch behende über die vielbefahrene Durchgangsstraße.


„Hallo Wilfried, das ist also unser neues „Frontoffice“. Passt wunderbar. Schön groß. Ebenerdig viel Laufkundschaft. Muss innen noch was umgebaut werden, mach am Sonntag Mal einen Plan.“


Grundsätzlich pflegte er Mitarbeiter mit dem Vornamen anzureden. Namensverwechslungen kamen dann häufig vor, so auch in diesem Falle.
Sein Blick dabei ununterbrochen auf das ebenerdige großzügige Ladenlokal.


„Was ist denn mit dem „Backoffice“? Backoffice ist wichtig sehr wichtig. Verwaltung und Kunden müssen getrennt sein, immer. Und hier:“ Er wieß dabei auf die Ladenfront.

„Koperateidenidie“ noch wichtiger. Wo wir drauf sind, da müssen wir auch drin sein.

Ganz wichtig, ist früher immer vernachlässigt worden, ich hab da schon was, vorigen Sonntag ausgedacht, ist schon beim Grafiker, der muss nicht mehr viel dran machen.“
Wilfried nickte, seine charmante Assistentin lächelte.


„Los geht’s, wo ist das Backoffice und der Ladenbesitzer wo ist er? Der Herr D. Ist im dritten Stock, er wartet dort auf uns.
„Also auf geht’s!“


Wilfried öffnete gleich links neben der Ladenfront eine Glastür. Bitteschön“
Sie betraten ein geräumiges Treppenhaus, erbaut im Stil der 70er Jahre, mit den unvermeidlichen Treppenstufen aus geschliffenem Terazzostein.
Die Atmosphäre dort wirkte muffig, spießig, gewöhnlich, was auch  mit die Glasbausteinen zu tun hatte, die ebenfalls verbaut waren und nur ein diffuses, dämmriges Licht hineinließen.
Wieder rechts zum Aufzug.
Die Türe öffnete und schloss sich mit jenem üblichen schleifenden Geräusch.
Alle hinein, es wurde eng.
Sofort breitete sich der Duft seines teuren Rasiewassers aus, unterlegt mit dem Parfüm seiner Assistentin, das eher grasig mit einem Hauch von Moschus angenehm wahrgenommen werden könnte Beide Düfte zusammen ergaben jedoch irgendwie eine Mischung von Geruch erzeugte der irgendwie halbseiden daherkam. Sowas von, mehr scheinen als sein. Wilfried blickte zu Boden, seine Assistentin lächelte.

Lassen wir Fritz Riemann nocheinmal zu Worte kommen:

Für die Entstehungsgeschichte hysterischer Persönlichkeitsmerkmale warf Riemann, wie auch für die anderen Persönlichkeitsstrukturen zunächst einen Blick auf Faktoren, die als anlagebedingt angenommen werden können. Er ging davon aus, eine verstärkte emotionale Ansprechbarkeit und ein erhöhtes Geltungsbedürfnis könnten ebenso angeboren sein wie ein besonders ausgeprägter Wunsch, sich mitzuteilen. Auch könnten Eigenschaften beteiligt sein, die in der Regel auf Sympathie stoßen. Ansonsten wird auf Erkenntnisse der Psychoanalyse verwiesen, nach denen insbesondere die Zeit zwischen etwa dem vierten und sechsten Lebensjahr und die währenddessen gesammelten Erfahrungen Einfluss auf den Umfang hysterischer Strukturelemente in der Persönlichkeit nehmen. Mehr als in den davor liegenden Zeiten der Entwicklung spielen hier Vorbilder aus der Welt der Erwachsenen eine zentrale Rolle. Die Frage, wie sie mit den Eigenarten des Kindes und seinem Stolz, aber auch der inzwischen gereiften kindlichen Kritik umgehen, beeinflusst die Möglichkeiten des Kindes, sie als Vorbilder anzunehmen und von ihnen zu lernen, oder sie zurückzuweisen. In dem Maß, in dem das Kind in dieser Zeit, in der „das Bedürfnis nach Führung und Vorbildern am stärksten ist“, mit diesen Wünschen im Stich gelassen wird, entwickelt sich eine mehr oder minder stark ausgeprägte hysterische Persönlichkeitsstruktur oder es wird gar die Grundlage für eine spätere hysterische Erkrankung geschaffen. Eines der Risiken dieser Menschen besteht darin, sich einerseits aus der Identifikation mit ihren Vorbildern oder andererseits aus der Rebellion gegen sie nicht lösen zu können und darin gleichsam stecken zu bleiben. Das hindert sie an der Entwicklung einer eigenständigen, unabhängigen Identität, ggf. auch ihrer Geschlechtsrolle.
Quelle: Fritz Riemann Grundformen der Angst 1975 – Wikipedia

Die Aufzugtüre öffnete sich. Im Treppenhaus, wartete bereits der Eigentümer.
„Darf ich vorstellen, das ist………. .“ bemerkte Willfried sehr verhalten, kam damit aber nicht weiter.


„Da ist ja der Chef, hab’s mir schon gedacht. Gestatten Waghals mein Name. Hans Adolf Waghals, der Hauptgeschäftsführer von dem Ganzen hier.“


„Herzliche Willkommen Herr Waghals…… . Ich bin der Eigentümer dieser Immobilie hier…… .


„O danke. Hab ich gleich gesehen, daß Sie der Chef sind.
Die Immobilie passt genau zu uns.
Muss noch einiges geändert werden. Kein Problem für uns. Telefoniere gleich mit unserem Fäksiliti Manager. Der hat seine Leute für sowas.
Ach ja die Miete. Darüber müssen wir noch verhandeln.“


Ein Stück vom Aufzug noch bis zu einer verschlossenen Türen.
„Ach hier die Türe, breit genug. Passt ein Rollstuhl durch. Barrierefrei. Das ist wichtig. Herr Schnäpflein (diesmal den Nachnamen verdreht) gleich aufschreiben.“


Unter der zuvor verschlossenen Türen erstreckte sich ein großer Raum, annähernd 100 Quadratmeter groß.
„Oh super genau die richtige Größe für uns Backoffice. Ich sage Ihnen: Wer heute nicht expandiert hat schon verloren.“
Dabei blickte er aus dem großen Fenster auf ein vorgelagertes Flachdach. Es war mit reichlich nassem Schnee bedeckt.
Der Vermieter, froh auch etwas beitragen zu können, verwies auf die gestiegene Dachlast bei solchen winterlichen Witterungsverhältnissen.
Ah ja das kenne ich. Wir haben NRW weit viele Häuser, auch solche mit Flachdach. Da muss man handeln. Nasser Schnee ist schwer.
Herr Schnäpflein schauen Sie gleich mal auf dem Computer nach. Bei Google oder so:
WIEVIEL WIEGT EIN KILO SCHNEE…….. ?“

Wieviel wiegt ein Kilo Schnee

Anmerkungen zum Text:

Es handelt sich hierbei um eine metaphorische Erzählung. Das Adjektiv metaphorisch bedeutet, dass eine Formulierung in übertragener Bedeutung und somit bildlich verwendet wird und dass etwas Metaphern gebraucht, wie etwa ein Text oder eine Rede und demnach vom Einsatz der Stilfigur geprägt ist. Dies kann als metaphorischer Stil bezeichnet werden.

Die beschriebenen Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen wären rein zufällig.

Bunte Runde

Bunte Runde laut und schrill
Leiber duftend Haare schillernd

Augen voller Anmut strahlen
Münder von Verlockung künden

Reden denkend ständig
Künden süß fast nur Banales
Du fällst drauf rein und hörst‘s voll Lust

Doch steckt dahinter oft Berechnung.
Hör näher hin lass dich nicht blenden
Auch Gift und Galle sind oft süß

Merk auf mein Freund,
schmeckst nur Glasur;
und innen wird es bitter.

Duften, lockend
Augen strahlend.
Haut wie Alabaster schimmert
Münder schwellen sanft
Merk auf mein Freund
Halt dich zurück
Denn manchmal wird es bitter
Merk auf meine Freund:
Du bist es selbst.
Gib acht.

Ehrenamt macht Spaß

Mein Ehrenamt

Mitglieder Versammlung der Lebenshilfe Bundesvereinigung am 15. und 16. November 2018.

Jeanne Niklas Faust (Bundes Geschäftsführerin)

Ulla Schmidt (Bundes Vorsitzende)

Armin Herzberger (ehrenamtlicher Delegierter der Lebenshilfe Lüdenscheid)

Monika Haslberger (Stellvertretende Bundes Vorsitzende)

Ehrenamt ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Demokratie. Ehrenamt ist Bürgerrecht. Ehrenamt ist Bürgerpflicht. Ehrenamt tritt ein für Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit. Ehrenamt können alle machen.

Und: Ehrenamt macht Spaß weil es allen hilft.

Bitte mitmachen!

#Lebenshilfe #LebenshilfeLuedenscheid #LebenshilfeMarburg #Ehrenamt #Demokratie ##Bürgerrechte #GegenPopulismus #Vielfalt #Toleranz

Einige wichtige Inhalte und Personen:

Ulla Schmidt Bundesvorsitzende

Die Lebenshilfe ist eine der ältesten Bürgerinitiativen. Lasst uns in diesem Sinne weiter machen. „Quo vadis Lebenshilfe“ Die Lebenshilfe als deutsche Bürgerbewegung. Die Lebenshilfe versteht sich als Bürgerrechtsbewegung. Ehrenamt ist im Vordergrund der Lebenshilfe Arbeit. Das Ehrenamt, und die Dienste und Einrichtungen sind in Einklang zu bringen. Fachliche und hauptamtliche Kompetenz sind kein Wiederspruch. BSie sollen sich gegenseitig fördern und unterstützen, damit eine quartiersbezogene Weiterentwicklung befördert wird.

Prof. Dr. Jeanne Niklas Faust Bundesgeschäftsführerin

Die Lebenshilfe ist bunt, vielfältig und so spannend wie das Leben selbst. Vielfalt ist unsere Stärke. Vielen Dank an all die Menschen die bei uns mitmachen.

Dr. Angelika Magiros Lebenshilfe Bundesvereinigung Öffentlichkeitsarbeit

Dr. Angelika Magiros. Immer unterwegs für Inklusion, Bürgerrechte, und bürgerschaftliches Engagement. Und, eine liebe Kollegin mit der ich seit langer Zeit freundschaftlich verbunden bin.

Danke für alles liebe Angelika.

Willkommen im Klippdachsland

Der Verfasser widmet diesen Text Frau Prof. Ruth Lapide.
„Ruth Lapide geb. Rosenblatt (* 1929 in Burghaslach) ist jüdische Religionswissenschaftlerin und Historikerin. Nach dem Tod ihres Mannes Pinchas Lapide im Jahr 1997 begann sie eine Karriere als Autorin und Lehrbeauftragte der Evangelischen Fachhochschule in Nürnberg.
Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem jüdischen Religionswissenschaftler Pinchas Lapide, setzte sie sich intensiv für die Versöhnung von Juden und Christen, für die Verständigung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel und für die Annäherung der drei großen monotheistischen Religionen ein.“

Mit großer Sympathie danke ich auch Dr. Angelika Magiros Dr. Elfi Danielzik-Storckund meiner geliebten Frau Doris

Schreibhemmung
Weißes Textfeld leer und fordernd. Himmelblauer Hintergrund, langweilig und bedeutungslos. Die Schreiboberfläche von Word auf dem Flat-Screen. „Warum schreibst Du jetzt nicht Flachbildschirm?“ Ein schönes deutsches Wort? Immer diese Anglizismen. So was in Denglisch.
Mir gefällt Flat-Screen besser, dachte er, irgendwie passt es besser, klingt auch besser, spricht sich besser, klingt moderner, wissender, für einen, der den Überblick hat. Für einen, der sich für so klug hält, die Dinge von außen zu betrachten und so besser einschätzen zu können.
Aber stimmte das wirklich? Hatte er tatsächlich den Überblick und schaute von außen, sozusagen als Betrachter auf die Dinge seines Lebens?
Niemals! Was für eine Selbstüberschätzung lag darin! Wie blöd musst Du eigentlich sein, Dich so zu sehen? Und schlimmer noch: Dich so zu präsentieren!
Es ist alles eitel, sagt der Dichter.
„Bitte ein wenig konkreter:
Ich bin eitel!“
Vor Tagen hatte er ein Gedicht im Web gefunden.
Vom Dichter Andreas Gryphius von aus dem Jahr 1637.
Verfasst mitten im 30 jährigen Krieg.
Das geht, in moderner Fassung, so:

„Es ist alles eitel
Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein.
Wo jetzt noch Städte stehn, wird eine Wiese sein.
Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden.
Was jetzt noch prächtig blüht, soll bald zertreten werden.
Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch’ und Bein.
Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.
Der hohen Taten Ruhm muss wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch, bestehn?
Ach was ist alles dies, was wir für köstlich achten.
Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind.
Als eine Wiesenblum’, die man nicht wieder find’t.
Noch will, was ewig ist, kein einzig Mensch betrachten!“

Oft schon, in den letzten Monaten, hatte er dieses Sonett, das ist wohl die richtige Bezeichnung für diese Form der Gedichte aus dieser Zeit, gelesen.
Gefiel ihm immer besser. Der Inhalt sowieso. Aber auch diese altertümliche Sprache, die Versform, das Versmaß. Einfach schön zu lesen.
Na ja bis auf das Schäferskind….

Über das Land der Klippdachse zu schreiben ist schwierig für einen wie mich, dachte er.
War er doch dort geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen, hatte ganz in der Nähe studiert, geheiratet ,eine Familie gegründet und, lebte immer noch dort.
Also der wissende Blick des Außenstehenden?
Abermals eine Anmaßung?„Ja so ist es. Hör auf, zu schreiben. Lass es sein, kommt nichts bei raus.“
Du kannst ja nur für dich schreiben.
Sozusagen als Möglichkeit zur Klärung innerer Konflikte. Als eine Art von literarischer Katharsis? „Das muss ich mir durch den Kopf gehen lassen.“ Dachte er sich.
Schreiben heißt sich mitteilen wollen. Das was innen ist nach außen kehren, weil es nach außen strebt. Da macht es wenig Sinn zu schreiben ohne den Anspruch, dass Andere ein Interesse daran haben, das Geschriebene zu lesen.
„Für mich jedenfalls,“ überlegte er.
Zurück zu den Klippdachsen.

Der Klippdach
Wer im Web sucht, findet zunächst Folgendes:
Wie die moderne Forschung annimmt, entspricht dem. Klippschliefer der mehrfach in der Bibel erwähnte Klippdachs.
Psalm 104 beschreibt ihn als Tier, das in den Felsen Zuflucht sucht. In den Zahlensprüchen schildert das Buch der Sprichwörter den Klippdachs als machtloses, schwaches Tier, das aber aufgrund seiner Weisheit trotzdem seine Wohnungen im Felsen baut. Einer missinterpretierten Beobachtung der biblischen Redakteure dürfte die Gesetzesvorschrift im Buch Levitikus entstammen, wonach der Klippdachs wiederkäue, aber keine gespaltenen Hufe habe, weshalb er als unrein anzusehen sei. Darauf basiert auch die Parallelstelle im Buch Deuteronomium.
Auch wenn dies letztlich nicht mehr sicher belegbar sein dürfte, sprechen diese Übereinstimmungen der biblischen Schilderungen mit der tatsächlichen Anatomie und Lebensweise des Klippschliefers dafür, den im Deutschen so bezeichneten Klippdachs mit dem Klippschliefer zu identifizieren.

An anderer Stelle ist zu lesen: Eines der Tiere, welche die Israeliten nicht essen durften. Es wird gesagt, dass er wiederkäut, jedoch keine gespaltene Hufe besitzt. Man nimmt an, dass das hebräische Wort shaphan auf den syrischen Schliefer hinweist, ein Tier, das ungefähr so groß ist wie ein Kaninchen. Es hat die Gewohnheit, dauernd die Zähne übereinander zu reiben. Es passt genau auf die Beschreibung von shaphan, zum Beispiel, dass es zwischen den Felsen wohnt, und dass es außergewöhnlich schnell von Fels zu Fels springt.

Es ist auch extrem schwierig zu fangen; eines von diesen Tieren hält steht’s stets Wache.
Wenn ein Feind sich nähert, wird ein Signal gegeben und sofort verschwinden alle Tiere.
Dies stimmt mit der Tatsache überein, dass sie „mit Weisheit wohl versehen sind.“
Aber wieso in aller Welt geht mir dieser Klippdachs nicht aus dem Kopf, dachte er.
Hatte es damit zu tun, dass er vor Monaten, wieder mal auf seinen Streifzügen durch das Web mehr zufällig auf die Seite einer Ausbildungsstätte für zukünftige evangelikale Pastoren gestoßen war?
Dort war zum Anlass der Verabschiedung eines Lehrers in den Ruhestand zu lesen:
„…. verglich Ihn mit dem biblischen Klippdachs, der sich auch in rauer Umgebung zu helfen wisse. Als Herdentier habe er sich nicht nur um sich selbst, sondern wie der Klippdachs vor allem um seine „Artgenossen“, die Studierenden und Kollegen, gekümmert…“
Mag sein. Erinnerungen aus Kindheit und früher Jugend waren geweckt.

Irrlehrer
Laienprediger unterschiedlicher evangelikaler Denominationen bestiegen damals die Kanzeln und Pulte der evangelischen Kirchen und der Gemeindehäuser. Und legten Zeugnis ab, wie es damals hieß.
Das geschah ohne besondere nachvollziehbare Eignung für diese Aufgabe.

Eine wie auch immer geartete theologische Vorbildung gab es wohl kaum oder sie wurde unterlaufen.
Die damals oft von ihm gehörte Begründung dafür:
Studierten Theologen bekämen an den Universitäten eine Lehre verpasst, die sich nicht mehr an der reinen Lehre der Bibel orientieren würde.
Bibeltreue Verkündigung sollte sein. Alles darüber hinaus sei eine gefährliche Irrlehre. Die gelte es zu bekämpfen.
Sie bilde eine große Gefahr für alle, die sich damit beschäftigen würden.
So mancher unbefangene junge Mann, der vorher aus so einer rechtgläubigen Gemeinde kam und sich aufgemacht hatte, um ein universitäres Theologie Studium zu beginnen sei vom rechten Glauben abgefallen.

Mit verheerenden Folgen. Der Teufel selbst habe sich mit Hilfe seiner Helfer an den Universitäten dieser armen Seele bemächtigt und sie verführt.
Nun drohe unweigerlich die ewige Verdammnis.
Es sei denn, er kehre um und schwöre der Irrlehre ab.
Dann – nur dann – sei eine erneute Aufnahme in die Gemeinschaft bibeltreuer Christen wieder möglich.
Der geneigte Leser mag sich nun denken :
Das kann doch nicht möglich sein.
Das ist doch eine mittelalterliche Denkweise.
Das ist doch ein Denken, was schon spätestens nach dem Zeitalter der Aufklärung für überholt erklärt worden ist.
Diese Einwände sind wohl für aufgeklärte, gebildete, modern denkende Menschen plausibel.
„Dennoch ist vom soeben niedergeschriebenen nichts zurück zu nehmen,“ dachte er sich.
Nun aber, bevor mit dem Schreiben fortgefahren wird, braucht es noch,
einer Klärung des an dieser Stelle schon häufiger verwendeten Begriffes:

Evangelikal
Sucht du nach seriösen Quellen im Web wird es sehr schnell unübersichtlich. Man muss sich beschränken, ganz sicher ist die Quellenauswahl subjektiv:
Mehr als 420 Millionen Evangelikale weltweit vereint die „World Evangelical Alliance“ nach eigenen Angaben unter ihrem Dach, insbesondere in den USA, Lateinamerika und Afrika boomt die bibeltreue Bewegung. Die missionarische Sammelbewegung speist sich aus Protestanten unterschiedlicher Herkunft, die eine wörtliche Bibelauslegung und die Sehnsucht nach persönlicher Glaubenserfahrung eint. Die Bibel gilt als oberste Autorität für das gesamte Leben, die Schöpfungslehre wird gegen Darwins Evolutionstheorie gestellt, vorehelicher Sex, Homosexualität und Abtreibung werden abgelehnt. In Deutschland leben nach Schätzungen bis zu 2,5 Millionen Evangelikale, genaue Zahlen kennt keiner.
Das Spektrum der Evangelikalen ist breit: Von Pietisten innerhalb der evangelischen Landeskirchen bis zu charismatischen und anderen Freikirchen oder Gruppierungen.
Als ein zentrales Dokument der weltweiten evangelikalen Bewegung gilt die „Lausanner Verpflichtung“ von 1974. Dort heißt es: „Wir halten fest an der göttlichen Inspiration, der gewissmachenden Wahrheit und Autorität der alt- und neutestamentlichen Schriften in ihrer Gesamtheit als dem einzigen geschriebenen Wort Gottes. Es ist ohne Irrtum in allem, was es bekräftigt und ist der einz ?unfehlbare Maßstab des Glaubens und Lebens.“ Noch weiter geht die Chicago-Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Bibel von 1978, auf die sich aber nicht alle Evangelikalen beziehen: „Wir verwerfen die Ansicht, dass die Unfehlbarkeit und Irrtumslosigkeit der Bibel auf geistliche, religiöse oder die Erlösung betreffende Themen beschränkt seien, sich aber nicht auf historische und naturwissenschaftliche Aussagen bezögen.“
Viele Evangelikale geben sich proisraelisch. Dahinter steckt allerdings oft eine problematische Haltung. Denn gleichzeitig halten die Evangelikalen an der „Judenmission“ fest. Die „Deutsche Evangelische Allianz“ hat ihre Position erst im September 2008 bekräftigt: „Gott ruft Gläubige auf, das Evangelium in die Welt zu tragen. Jeder muss diese Botschaft hören – auch das jüdische Volk.“ WOS 365857 4851
In Deutschland leben nach Schätzungen bis zu 2,5 Millionen Evangelikale, genaue Zahlen kennt keiner.
Das war jetzt ziemlich lang.
Und zugegeben nicht wertfrei verfasst.
Alle Quellentexte sind kursiv geschrieben vom Verfasser dokumentiert und können gerne auf Nachfrage genannt werden.
Der Verfasser beabsichtigt auch nicht wertfrei zum Thema schreiben.
Selbst wenn er es wollte würde es ihm sicher nicht gelingen

Musik
Der Verfasser erinnert sich:
In der 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde eine grundlegende Renovierung des Kirchengebäudes erforderlich.
Dieses Vorhaben wurde von einem damals noch jungen und neu in die Gemeinde gekommenen Pfarrers vorangetrieben. Die Ältesten in dieser Gemeinde sahen das Unterfangen kritisch. Viel wichtiger schien ihnen die schon Jahre zuvor durchgeführte Renovierung und Modernisierung des sogenannten Gemeinschaftshauses. Die Besitzverhältnisse für diese Immobilie sind dem Verfasser bis dato nicht klar.
Er schweifte ab. „Darum soll es an dieser Stelle nicht gehen. Also weiter:“
Im Zuge der Renovierung wurde auch das alte Orgelpositiv beseitigt. Alt nicht im Sinne von historisch altem Instrument.
Es war wohl eine Schenkung an die Kirchengemeinde nach dem Kriege aus Amerika, wie immer gesagt wurde.
Ein unglaublich schräg klingender Musikkasten, bei dessen Spielen ab und an einzelnen Tasten klemmten, sodass sich der gerade intonierte Ton nicht mehr abstellen ließ. Dann war der Organist, der Bürgermeister der besagten politischen Gemeinde, gezwungen das Gebläse des Instruments auszuschalten.
Er tat dies mit Hilfe eines Drehschalters aus Porzellan, der am Instrument befestigt war, was dann postwendend mit einem laut vernehmlichen PENG verbunden war.
Der klemmende intonierte Ton blieb dann noch für Sekunden konstant und verabschiedete sich dann aber ebenfalls langanhaltend mit immer leiser werdendem Jaulen.
Zum Schreien komisch.
Was geschah unmittelbar danach?
Nichts.
Kein Lachen, kein Prusten.
Nichts.
„Ach ja, öffentliches Lachen und sich laut freuen ist ja verboten,“ erinnert sich der Verfasser.

Dazu später mehr.
Die Quellenlage zu diesem Thema ist sehr reichhaltig und kaum an dieser Stelle zusammen zu fassen.
Würde dies doch die Grenzen einer Erzählung sprengen und beim geneigten Leser vielleicht Langeweile aufkommen lassen.
Nur so viel in aller Kürze:
Deutlich wird, dass es von Beginn an zu einer Blütezeit vor allem der Kirchenlied Literatur gekommen ist:
„Ab etwa 1670 wurde der Pietismus zur bestimmenden Strömung der deutschsprachigen Kirchenlied Literatur.
Der Pietismus begann als innerkirchliche Reformbewegung, welche die als Erstarrung wahrgenommene Rationalisierung der Theologie aufbrechen wollte (Vom Kopf in’s Herz) und ihr eine auf persönliche Bekehrung und gefühlsbetonte Frömmigkeit gegründete Glaubenspraxis entgegensetzte. Als „Vater“ des Pietismus gilt Philipp Jacob Spener mit seiner 1675 erschienenen Programmschrift Pia desideria. Nach Ablehnung von offizieller Seite fand der Pietismus schnell seinen Platz in privaten Erbauungszirkeln, in deren Stunden das pietistische Kirchenlied von zentraler Bedeutung war.
Die neuen Lieder waren meist betont subjektive, durch sprachliche Bilder geprägte Betrachtungen, in denen Beschreibung des persönlichen Empfindens vor klaren theologischen Aussagen im Vordergrund stand. Die Welt als Jammertal waren geläufige Inhalte. Daneben entstanden kämpferisch-missionarische Lieder, die zu einer neuen, bewussten Bekehrung aufriefen. Im Ganzen sank die literarische Qualität, dieselben abgegriffenen Formeln begegnen immer wieder.
Der Pietismus war bis zum Ende des 18. Jahrhunderts für die Kirchenlieddichtung von großer Bedeutung.

Das Licht
Es roch nach Gummi, abgestandener Gebläseluft, nach Schweiß und säuerlichem Glühweindunst.
Er kannte diesen Geruch aus vielen Jahren Busfahrt. Immer hin und her, immer von Dydena nach Hufenburg und zurück.
Zum Busgrunddunst kamen dann, je nach Jahreszeit, wechselnde Gerüche hinzu und hinweg. Auch die einzelnen Bushaltestellen auf dem Weg zur Schule in Hufenburg hatten unterschiedliche Gerüche.
Beierbach roch nach verbrannter Kohle, nach heißem Sand und, stinkend, nach Schwefeldunst.
Waldenau hatte eine merkwürdige Melange aus Bohröl, Benzin und Kuhstalldunst zu bieten.
Spitzenstein bot ein zweifaches olfaktorisches Erlebnis:
Dunst vom Wurstkessel und von Schweinemist aus der nahegelegenen Metzgerei gemischt mit dem Duft von frisch gebackenen Brötchen und sich aus dem Gärbottich blähenden Dunst von Sauerteig aus der benachbarten Landbäckerei herbeiwehend.
In Quotenhausen dominierte ganz klar der würzige, oft buttrig süße Duft der gegenüberliegenden kleinen Brauerei. War Vor allem dann, wenn aus dem roten Backsteingebäude über eine Förderschnecke frisch ausgekochtes Gerstenmalz sich breiig dampfend auf einen bereitstehenden Anhänger ergoss, der dann von einem eilfertigen Bauersmann abtransportiert wurden. Futter für sein Vieh. „Die Brauerei kotzt wieder mal!“ dachte er dann bei in solchen Momenten und ihm wurde augenblicklich übel.

Er stieg die enge Treppe hinunter, murmelte ein „Tschüss dann!“ und trat ins Freie, ohne eine Antwort zu erwarten. Augenblicklich atmete er klare kalte Winterluft, die nach nichts roch außer nach: „Du bist zu Hause.“ Er hustete kurz, mehr aus Verlegenheit als aus einem echten Bedürfnis seine Lunge vom Schleime zu befreien. „“Voll peinlich der Tag heute.“ dachte er, zog eine zerknitterte Zigarettenpackung aus der Parkatasche, nestelte, suchte und wurde schließlich fündig.
Der alte Bus schloss zischend die Tür und setzte sich träge brummend in Bewegung.

Das Feuerzeug fand sich in der anderen Manteltasche. Es zündelte hell, sogleich sah er eine bläulich gelblich, rötliche Flamme. Die Kippe entzündete sich knisternd. Der Duft war wunderbar. Er sog den Rauch tief ein, behielt ihn eine Weile in sich, um ihn dann deutlich hörbar auszustoßen.
Augenblicklich spürte er einen Schwindel, der sich beim zweiten Zug deutlich steigerte und unangenehm wurde:
„Scheiße, Scheißtag heute. Gut, dass jetzt Ferien sind, Weihnachtsferien. Klassenfahrt mit achtzehneinhalb, die meisten sind noch älter, einige schon fünfundzwanzig, das kann einfach nicht gut gehen. Und dann nur Jungs. Was bleibt da mehr als Saufen, Druckbetankung sozusagen.“

Er überquerte die Straße. Der Schnee knirschte nass, unter seinen Füßen. Ein Wind wehte von Osten her und wischte eisig über sein Gesicht. Er nahm ein Geruch von Kuhstall wahr, der wohle aus dem gegenüberliegenden Gebäude her entgegen wehte. Muffig süßlich, ein wenig stechend wie Salmiak.
Ein paar Schritte weiter an einem alten Gartenzaun and ? entlang. Die Latten des Zaunes trugen weiße Hütchen aus Schnee und glitzerndem Eis. Die Turmuhr schlug einen dumpfen tiefen Schlag. Tong.
Das Geräusch war ihm vertraut und weckte viele Erinnerungen aus der Zeit seiner Kindheit.
An der Zigarette ziehend drehte er sich um und blickte zum Kirchturm. Da stand er samt Kirchenschiff. Schwarz und massig mit aus Granitstein erbaut.

„Diabas“ sagte sein Großvater immer. „Das ist der Stein, aus dem dieses Gebäude erbaut ist.“
Man findet dieses Gestein hier in seiner Gegend. Seit 100 Jahren mühsam gewonnen. Damals noch Handarbeit.
Großvater hatte 30 Jahre im Steinbruch gearbeitet. Entsprechende Hände. Groß, dicke Finger, rau und faltig mit Schwielen an den Kuppen und am Ballen.

Landwirtschaft im Nebenerwerb, wie alle Familien hier. Das war dann vor allem Frauensache, wenn die Männer sich den Sommer über als Maurergehilfen im nahe gelegenen Verliererland verdingen mussten. Harte schwere Feldarbeit, fast alles per Hand und Buckel.
Ein Pflug, ein Wagen aus Holz. Große Speichenräder mit eisernen Laufflächen. Davor, zum Ziehen, eine Kuh manchmal auch zwei. Dunkelrote knochige Kühe. Eher mager und gedrungen, aber muskulös, gehörnt und drahtig. Kleiner Euter, aus dem so oft die Milch tropfte, wenn, auf dem Weg vom Feld, Mensch und Tier die Erschöpfung überkam.

Er kannte diese Geschichten gut, die sich die alten Männer und Frauen erzählten, wenn sie an Winterabenden zusammen saßen und sich unterhielten. Das klang dann so romantisierend ideal, verklärt und vom vielen Nacherzählen immer weiter weg von dem, was wirklich einmal so geschah.
Er saß damals als kleiner Junge mit dabei und hörte zu. Er spürte dann eine Stille, eine Ruhe, die ihn wohlig stimmte. Eine Stille, die durch die Wände der alten Bauernhäuser drang und sich auf die Gemüter legte.

„Geh nach Hause und geh zu Bett.“

Er schritt bergan, schnippte den glühenden Zigarettenstummel in den nassen Schnee. Der Stummel verlosch mit einem leisen Zischen, kaum hörbar, aber auf eine bestimmte Weise eindringlich. So als ob da etwas endgültig und unwiederbringlich zu Ende ging. Da war es wieder, dieses Gefühl von… ?
Etwas nicht zu Beschreibenes, etwas Drohendes, Dunkles, Leeres, Einsames unsagbar Vernichtung und Endgültigkeit Kündendes.

„Geh nach Hause, Du bist betrunken, müde und erledigt. Geh zu Bett, mach die Augen zu und schlaf.“

Weiter bergan. Die Silhouetten der Gebäude, die er erblickte, die ihm so vertraut waren, allesamt kleine Bauernhäuser mit Scheune und Hof. Weder stattlich noch wirklich bäuerlich. Eher klein und geduckt sich aneinander drängend, wie eine Schar von Weiderindern, die sich im nassen Schneeschauer aneinander drängen um Schutz zu finden. Damit nicht genug: Die ehemals schmucklosen Fachwerkfassaden verkleidet mit unendlich trostlosem Eternit. Die Fensteröffnungen ehemals klein und passend, nun herausgebrochen und ersetzt durch große Einflügelfenster, die mehr Licht in die Stuben bringen sollten. Wahrscheinlich sollte so eine Anpassung an die modernen Zeiten gezeigt werden. An eine städtisch kleinbürgerliche Wohnkultur der 60er und 70er Jahre.
Das Ergebnis war erbärmlich. Die letzten Reste des Ausdrucks einer dörflich-bäuerlichen Lebensweise, die eigentlich immer von Sparsamkeit, Entbehrung und trotzigem Fleiß gekennzeichnet war, sind bis zur Unkenntlichkeit verbaut, verhunzt und kaputt saniert worden.
Wenn die Häuser jemals etwas von der wirklichen Identität und der eigentlichen Lebensweise ihrer Bewohner zeigten, ist dies nun verschandelt und damit für immer verloren.
Weiter bergan. Die beiden Straßenlaternen, die an Draht befestigt, gespannt von einem Haus zum andern, milchig weiß ihr spärliches Licht abgaben, schon verloschen.
Er blickte auf und sah am Ende des Weges eine gleißend helle, punktförmige Lichtquelle. Sie strahlte hell und durchdringend, beleuchtet die Fassade, an der sie befestigt war und warf ihren hellen Schein auf den Schnee unterhalb von ihr auf den schneebedeckten Asphalt und, auf den schräg gegenüberliegenden Abhang der wiederum auf eine Hofeinfahrt mündete, die eine weiteres Bauernhaus mit der Straße verband.

Das Rasselchen
Es ist Dezember, kurz vor Weihnachten. Die Verwandtschaft trifft sich zur Geburtstagsfeier.
Die Vorbereitungen zu solch einem Ereignis sind umfänglich. Ein willkommenes Ereignis in einer dörflichen Umgebung. Ein nachmittägliches üppiges Kuchenbuffet ist obligatorisch.
Buttercremetorten, Sahnetorten in beachtlicher Höhe werden hergestellt.
Der Stolz für jede einer jeden Hausfrau.
Er erinnert sich an ein hämmerndes, sägendes Geräusch zu früher Morgenstunden, welches ihn weckte.
Hervorgerufen durch den Handmixer, der wohl starken Kontakt zur Rührschüssel hatte. Dazu der Geruch von Sahne, Vanille, und heiß gelaufenem Elektromotor.
Noch verschlafen und im Pyjama stieg er die Treppen hinunter, öffnete die Küchentür. „Zieh dich erstMmal an.“ sagte Großmutter. Mutter und Tante nickten beifällig, ohne die Arbeit zu unterbrechen.
Großvater saß im Sessel und rasierte sich ebenfalls elektrisch. Das ergab ein unnachahmliches Geräuschkonzert, das ihn noch Jahrzehnte an die Weihnachtszeit erinnerte.
Abends dann ein deftiges Geburtstagsessen. Der Höhepunkt einer jeden Familienfeier. Kartoffelsalat, Nudelsalat immer. Bratwürste und heiße Fleischwurst ebenfalls. Das Highlight aber immer Pumpernickel, dick mit Margarine bestrichen und mit Scheiblettenkäse belegt, mindestens in drei Schichten. Das ganze in längliche kleine Quadrate geschnitten und nach dem Essen zum Bier oder zum Wein gereicht. Der Wein eine wirklich süße Plörre, Marke Himmlisch Moseltröpfchen oder Kröver Nacktarsch.
Zum Schluss noch, vor allem zur Weihnachtszeit, selbstgemachte Plätzchen aller Art, die himmlische nach Butter, Vanille und Nüssen schmeckten.
Dergestalt gesättigt folgte auch er den Gesprächen der Gäste.
Für die Frauen ganz typisch, eigene Krankheiten, die der Nachbarn und Bekannten. Die schulischen Leistungen der Kinder, im Frühling dann der Zustand des eigenen Gemüsegartens.
Und schließlich, in aller Ausführlichkeit, Dorfklatsch jeglicher Art
Bei Männern hingegen war deren Mitteilungsbedürfnis eher übersichtlich. Bei den Alten war’s der Krieg und ihre Arbeit im benachbarten Siegerland als Maurer. Noch viele Jahre später glaubte er tatsächlich, dass alle arbeitsfähigen Männer Maurer waren und im Siegerland arbeiteten. Oft später dann, das Essen war schon im Gange kam, nun nennen wir Ihn Ottmar.
Er betrat das Wohnzimmer, ihm war anzumerken, dass ihn solche öffentlichen Auftritte deutlich überforderten und sagte:
Nichts.
Was niemanden wunderte. „Ottmar willst du noch Kuchen?“ „Das fehlt noch!“ sagte er.
Er schaute sich um und setzte sich dahin, wo noch Platz war. Frauen reichten ihm Teller und Besteck und rückten ihm die deftigen Speisen zurecht. „Lass es Dir schmecken!“ Ottmar delektierte sich bereits, nickte nur und öffnete die bereitstehenden Bierflasche.
All das geschah ganz beifällig, niemand nahm Notiz davon.
Einige Flaschen Bier später wurde Ottmar redseliger.
Sein Blick hellte sich dann deutlich auf und bekam dann bald etwas Wehmütiges und Verschämtes.
Er habe mal bald nach dem Kriege ein Flüchtlingsmädchen gekannt. Sie sei schlank gewesen. Dunkle Haare, ein Lockenkopf. Immer unternehmungslustig, zu Späßen und Streichen aufgelegt. Eine gute Tänzerin. Man nannte sie „Rasselchen.“
Alle jungen Männer seien hinter ihr her gewesen. Sie wäre dann aber von einem Katholiken weggeschnappt worden. „Von einem Sudetengauner!“ wie er sagte. Das dieses junge Mädchen wohl die Liebe seines Lebens gewesen ist, erwähnte er mit keinem Wort. Ottmar ist ledig geblieben. Wohnt mit seiner Schwester zusammen, die ihn versorgt.

Kakao und Käse
Emmerich trug meistens eine Baskenmütze. Sein Markenzeichen.
War im Kriege in französischer Gefangenschaft gewesen. Davon berichtete er mit Vorliebe. Von seinen Erlebnissen dort, vom Essen und Trinken und, von den Frauen. Die Schrecken und Grausamkeiten, die Mitschuld dieser Generation am Hiltlerfaschismus verschwieg er, oder hatte sie nicht erkannt. So wie fast alle Männer seiner Generation. Was übrig blieb, waren Geschichten, die in ihrer Verklärung eher an Pfadfinder-Geschichten erinnerten. Voller Verklärung und nostalgischer Idealisierung der damaligen Zeit.
Emmerich war beides. Auf der einen Seite ein beinharter Calvinist, der vehement alles ablehnte, was mit Genuss und Lebensfreude bedeutete.
Auf der anderen Seite ein sentimentalen Lebemann, der gerne aß und trank, vor allem den schweren süßen Moselwein.
Bier holte er sich gelegentlich mit der Milchkanne in der Dorfkneipe. Man sollte nicht sehen, dass er gerne ein Bierchen trank.
Er liebte diesen verkappten Lebemann, der zwischen Frömmelei und leichtem genussvollem Leben scheinbar ohne Problem hin- und herschwankte.
Gerade diese Doppeldeutigkeit, die so zwanglos daher kam, faszinierte ihn.
Mit der Zeit wurden sie Freunde mit einem Altersunterschied von annähernd 40 Jahren.
„Komm doch mit nach Hause, bei uns gibt es heute Abend Kakao und Käse.“ bot er ihm an.
Er schlug dieses Angebot nicht aus und ging mit.
In Emmerichs Zuhause angekommen duftete es schon an der Haustüre nach köstlichem selbstgekochten Kakao.
Auf dem Küchentisch stand dann schon verzehrfertig eine ordentliche Anzahl bereits dick mit Butter und Edamerkäse belegter Weizenbrötchen.
Liebevoll zubereitet von Emilia, seiner Ehefrau. Eine tiefgläubige Frau, die immer sanftmütig und freundlich den Haushalt führte, gut kochte und klaglos akzeptierte, dass er bei seinen häufigen Besuchen seine geliebten filterlosen Gauloise Coporal dabei rauchte.
Emmerichs politische Einstellungen waren denen der den Seinen gegenüber diametral entgegen gesetzt.
Er, der seinem Onkel Theodor nacheifernd Willi Brandt verehrte.
Emmerich dagegen ein Anhänger von Konrad Adenauer und dessen rückwärtsgewandter Politik der Restauration und der Verdrängung.
Typisch für die Bewohner des Klippdachslandes zu jener Zeit.
Wenn er vom Politisieren mit ihm genug hatte, bemerkte er: „Du bist ein hoffnungsloser Kommunist. Wenn der Russe von Osten her hier einmarschiert, wirst Du Bürgermeister,“ was schon fast wieder eine Anerkennung für ihn bedeutete.
Emmerich verstarb sehr früh und er erinnerte sich der bitteren Tränen, die er deswegen geweint hatte.

Elferraus und Apfelstrudel

Oma Christine war eine besondere Frau. Steht’s gütig und darauf bedacht alle Mitglieder ihrer Familie zu achten, vor allem die Kinder.
Eine Köchin, die aus den einfachsten Zutaten köstliche Gerichte zaubern konnte.
Ihr reichten Mehl, Wasser, ein bisschen Hefe, Zucker, Zimt, ein paar Äpfel oder Quark, um einen köstlichen Strudel zu bereiten, der seinesgleichen suchte.

Und, sie liebte Kinder. Lies dann alle Hausarbeit liegen wenn Enkelkinder, Neffen, Nichten zu Besuch waren:
Nachmittags so gegen drei. Seine Schwester und er machten sich auf den Weg. War ja nicht weit. Eine Straße bergab. Das schwarze Kirchengebäude ragte auf der gegenüberliegenden Seite massig empor, der Kirchturm schwang sich empor. Oben in der Mitte des Turms befand sich ein kleines Fenster aus dem ein schwacher Lichtschein zu sehen war. Ein Geräusch war zu hören. Metallisches es Klacken: Klack klack, klack, klack. Der Kirchendiener versah auch an diesem diesigen Novembertag seinen täglichen Dienst. Die Turmuhr musste täglich aufgezogen werden.

Ein schmaler Mann, ein wenig gebeugt schon überquerte dann die Straße, den Schlüssel der Kirchentür schon in der Hand. Ein braver Mann unscheinbar zurückhaltend. Er nuschelte vernehmlich beim sprechen. So als ob er das wüsste, sprach er Recht wenig.

Der Wetterhahn auf seiner Spitze war kaum noch zu sehen. Dann weiter gleich links bis zur zur Dorfkneipe. Wieder links und dann steil bergan. Es nieselte, Kuhfladen bildeten eine schmierige dunkelbraune Masse. Man musste aufpassen darauf nicht auszugleiten. Mitte November, es war den ganzen Tag nicht richtig hell geworden. Trübe, die Wolken schwarzgrau, neblig und dunstig.

Blickte man hangaufwärts nach rechts war da ein Bauernhaus in exponierter Lage. Gleich daneben ein riesiger Ahornbaum mit weit ausladendem Geäst. Früher, im 19. Jahrhundert, hatte dort eine kleine Fachwerkkirche gestanden. Davon ist nichts mehr vorhanden. Nur mündliche Überlieferungen erzählen davon.
Heute wohnte in dem besagten kleinen Bauernhaus ein Wagener, ein Stellmacher mit seiner Frau.
Seinen Beruf übte er schon lange nicht mehr aus. Aber, seine kleine Werkstatt, die Wagenerkammer, die existierte noch.
Er, schon lange in Rente war überdies über den Sommer der Dreschmaschinenführer.
Ein wichtiges und verantwortliches Amt, welchem er sorgfältig, stolz und mit Würde nachkam.
Dazu aber mehr an anderer Stelle.

Weiter bergan. Gleich links dann erneut ein kleines Bauernhäuschen.
Hier wohnte der Hausschlachter, der gleichzeitig auch bei Rückenproblemen und Knochenbrüchen konsultiert wurde.
Ebenso bei einfachen tierärztlichen Behandlungen, die sich vor allem auf das Kastrieren von Katzen und Ferkeln erstreckte, schritt er helfend zur Tat.
Auch dazu mehr an anderer Stelle.
Nach einer kleinen Weile dann war die Steigung überwunden und es ging bergab.

Einige wenige Meter noch. Das Haus der Grosseltern. Erbaut in Stile der 50er Jahre. Steiles Dach mit kleiner Dachgaube.
Das Parterre, als Kellergeschoss genutzt eine massive Bruchsteinmauer in Diabaststein.
Auf das sorgfältigste vermauert, die Mauerecken zusätzlich mit Hammer und Meisel in die Senkrechte gebracht.
Ebenerdig links ein kleiner Hof, gepflastert.
Die Pflastersteine aus Beton gegossen, selbstredend von Hand gegossen und verlegt.
Gleich dahinter rechtwinklig zu Haus der Schweinestall.

Gleich obenauf im ersten Stock mit einem Fenster zum Hof Opas Schreinerwerkstatt, besser Werkstatt für alles was gebaut, instandgesetzt, und aufgefrischt werden musste.

Vor dem Hause, ein kleines Gärtchen mit einer Rosenblumen Rabatte. Und der Mitte ein Bank, grün gestrichen und selbstverständlich von Grossvaters Händen hergestellt.

Zurück zum Hauseingang. Eine steile Treppe führte zur Haustüre.
Eine Türklingel war nicht erforderlich.
Oma war eigentlich immer, wenn Sie zuhause war in ihrer Küche und werkelte dort.
Sie brauchte dann lediglich aus dem Fenster zum Hof hin zu schauen und hatte damit die Haustüre fest im Blick.
So war es auch diesmal.

„Kummt rinn. S gebt Strudel.“ sagte sie im unverwechselbaren Dialekt der Donauschwaben und strahlte uns einladend an.
Kaum in der Küche, die Anoraks vorher an der Garderobe abgelegt.
„Wollt ihr Kaba?“
„Au ja gerne“
Oma Griff zu einem himmelblauen kleinen Kochtopf der auf dem Ölherd stand.
Die Milch war warm. Schnell drei Teelöffel „Kaba“ in beiden großen Tassen. Die Wärme Milch dazu umrühren und fertig.
„Schmeckt ja so gut“ sagte seine Schwester.
Sahnig, milchig, nach Schokolade und nach Vanille schmeckend, herrliche duftend.

Der Geschmack und Geruch der Kindheit, den man nie vergisst.
Überhaupt ein harmonisches Konzert von Düften erfüllte Omas kleine Küche.
Da war der Hefeteig der sich bereits gährend in einer Steingutschüssel blähte.
Süsssauer der Duft der bereits geraffelten Backäpfel, aus dem eigenen Garten, bereits ein wenig goldbraun angelaufen. Vanillezuckerduft.

Und kaum riechbar der Geruch des brennenden Ölherds, eine hauchfeine Petrolnote, die nicht störte, sondern das olfaktorische Erlebnis komplettierte, eben der Grosseltern Hausgeruch, so wie damals jedes Haus seinen typischen unverwechselbaren Geruch hatte.

„Wo ist eigentlich der Opa?“ fragte eine Schwester, die noch ein kleines Kakaobärtchen an der Oberlippe hatte.

„Där iss beim Balzer (Balthasar). Duut Ihm helfe.“ antwortete Oma.
Balthasar war der Gatte von Ernestine, die Tochter von Oma.

Balthasar war ein kluger steht’s verschmitzt lächelnder Mann. Immer zu Scherzen aufgelegt. Ein lieber Gatte und vorbildlicher Schwiegersohn. Genau so seine Ernestine. Sehr kinderlieb, herzlich, gemütvoll, so wie bei der ganzen Familie zu beobachten.

Alle zusammen Donauschwaben, seit Jahrhunderten aus Not und Verfolgung flüchtend im Balkan eine neue Heimat. Da war wohl eine glutvolle emotional offene slawische Seelenverwandtschaft entstanden, der die Familienbande überalles ging und Kinder immer die wichtigste Rolle einnahmen.

Und fleißig waren sie, sehr fleißig, aber auch immer bereit zu feiern, gut zu essen und zu trinken.

Die Küche der Donauschwaben, war stark beeinflusst von der K.u.k-Monarchie des 19. Jahrhunderts und deren Multikulturalismus. Sie brachte eine völlig neue Küche ins Klippdachsland. Zutaten wie Knoblauch, Gemüse wie Tomaten, Paprika waren dort bis dahin unbekannt.

Hasan, ein Albaner aus dem Kosovo arbeitete auf dem Sägewerk, gleich am anderen Ende des Dorfes.
Er, schon in den 60er Jahren als „Gastarbeiter“ nach Deutschland gekommen, wohnte inmitten des Dorfes gleich beim Raiffeisen Lager.
Dort wurden vor allem Futtermittel verkauft.
Die kleine Lagerhalle hatte vor Kopfe einen noch kleineren Anbau der als Kasse, als Bank diente.
Dort arbeitete der Buchhalter des Raiffeisen Vereins. Ein gestrenger älterer Herr, stehts mit verdrieslicher Miene. Er gehörte der ansässigen Darbistengemeinde an, von der an anderer Stelle zu berichten ist.
Nun, die Bankfiliale war seit kurzem geschlossen worden und der ältere Herr der „Raiffeisen Pädder“ genannt wurde erhielt seine Rente.
Hasan nahm die Gelegenheit beim Schopfe, bewarb sich als Mieter mit dem Versprechen alle notwendigen Renovierungsarbeiten selbst zu tätigen und war von nun an der neue Mieter.
Hasan besuchte Woche für Woche den Opa.

Immer Samstag Nachmittag. Der guten Tradition folgend zog er an der Haustüre steht’s die Schuhe aus, ein Brauch der auch bei Opa und Oma üblich war.
Man begrüßte sich schon an der Haustüre herzlich und Opa geleitete den Gast durch die Küche hinein in angrenzende Wohnzimmer.
Von nun an sprach man ausschließlich serbisch, die Muttersprache von Hasan. Opa bot Ihm steht’s zur Begrüßung einen Racki an. „Wilscht n Rackel Hasan?“ Hasan nahm dankend an. Man unterhielt sich man sprach über Alles. Über die Arbeit, über die alte Heimat, über Politik….. . Und natürlich über Fussball, schließlich begann pünktlich um 17:30 die Sportschau auf dem Ersten. Oma kochte Kaffee und kredenzte einen köstlichen, am vormittag gebackenen Mohnstrudel, ein Hefegebäck, als Zopf geflochten, der so unvergleichlich leicht und locker gebacken war und köstlich zu Bohnenkaffee mundete.
Pünktlich dann gegen 18:30 verabschiedete sich Hasan dann. Man gab sich die Hand, oder klopfte sich freundschaftlich auf die Schulter. Opa begleitete Hasan zur Haustüre. Der zog seine Schuhe wieder an und trat nochmals grüßend den Nachhauseweg an.

Oma hatte inzwischen Küchenfenster und Wohnzimmerfenster geöffnet.
Dabei sagte Sie steht’s:
„Huii drr Hasan däär hott Stinkfiess“

Dies nur als ein Beispiel für die folgende Aussage:

Eine Verhärtung und Engführung in Fragen der Lebensführung, der Politik und der Religion war bei Oma, war in dieser ganzen Donauschwäbischen Familie nicht zu finden.

Man war fleißig, lebte sparsam, tat seine Pflicht, war durchaus gottesfürchtig. Aber nicht auf diese ausgrenzende verhärtete, kalte Art und Weise wie sie im Klippdachsland zu beobachten war.

Ihm tat das immer sehr gut. Es hat sein bisheriges Leben entscheidend geprägt.
Die Oma und auch der Opa haben immer noch ein festen Platz in seinem Herzen.

Elferraus und Apfelstrudel

„Wollen wir Mal Elfer-Raus spielen fragte seine Schwester.“
„Iss gut, mach ich gern mit eich“ sprach Oma, was nicht anders zu erwarten war.
Oma hatte bereits, auf der einen Hälfte des Tisches, den warmes Gefährten elastischen, herrlich duftenden aus der Steingutschüssel herausgenommen und ihn nach allen Regeln der Kunst gewalkt und zu einer Teigkugel geformt.
Das Mehl auf dem Küchentisch verstreut tat sein übriges damit das Werk gelang und der Teig nicht haften blieb.
Feine Staubwölkchen stoben auf und legten sich sachte auf Omas Arme, auf die Brille, ein wenig auch auf ihr silbernes Haupthaar.
Nun legte Sie ein weißes Tuch aus Leinen auf die eine Hälfte des ausgezogenen Küchentisches.
Der Teiballen darauf und kunstvoll im Viereck langsam, behutsam in die Länge gezogen.

Oma wischte die eine Hälfte des Küchtisches blank.
Die Geschwister hatten dort schon auf den Küchstühlen platzgenommen.
Oma öffente die linke Tür des Küchenschranks.
Eine vom vielen benutzen schon angegriffene grüne durchsichtige Plastikschachtel wurde von Ihr herausgenommen.
Elfer-Raus stand in erhabener Schrift darauf.
Die Schachtel barg die Elfer-Raus Karten. Auch schon recht abgegriffen, ein wenig speckig, von vielen spielen ein wenig fleckig.
Die Elferkarten herausortiert in auf dem Küchentisch zu einer senkrechten Reihe sortiert.
Inzwischen hatte Sie den fertig zusammengerollten Apfelstrudel auf ein Backblech geschoben und in den Backofen verbracht.

„Nu geht’s los.“
Das Spiel begann.
Jeder erhält 11 Karten auf die „Hand“
Bei jeden Spieler ordentlich gefächert, nach Zahlen und „Farben“ sortiert.
Der Rest kommt in den „Stock“.
Nun beginnt man passend an die Elfen, die nach Farben zu sortieren sind abzulegen.
Ist keine passende Zahl in der passenden Farbe auf der Hand muss man eine aus dem „Stock“ ziehen.
Ein schönes Kartenspiel, was den Spielern Zeit lässt sich nebenbei zu unterhalten, auch kurze Unterbrechungungen Schäden nicht.

So auch Oma, immerwieder aber ohne Eile nach dem Apfelstrudel zu schauen, der sich nun ganz sachte im Ofenrohr bräunte.
Karamelige Düfte erfüllten Zug um Zug die Küche, vor allem dann wenn Sie die Backofentüre vorsichtig öffnete um Ihr Werk zu betrachten.

Das Kartenspiel nahm seinen Lauf, immerwieder unterbrochen, weil Oma den Backofen öffnete und wieder schloss, fertig gebackenen köstlichen Strudel herausnahm und mit weiteren Strudeln, die noch zu backen waren, hineinschob.
Der Strudel köstlich. Elfer-Raus mit Oma spielen, dabei Strudel essen. Ganz zwanglos, ohne Anstandsregeln und Ermahnungen.

Manchmal wenn er alleine bei Oma war legte er sich auf das alte Chaiselongue gleich rechts unter dem Fenster zum Hof. Sein Kopf auf ein Sofakissen gebettet lauschte er den Freddi, wie Oma immer sagte Freddy Quinn… „Junge komm bald wieder……. .
Jenes Sehnsuchtslied der vielen Geflüchteten in den Nachkriegsjahren, daß die Sehnsucht, das Heimweh nach der alten Heimat besang.

Er hörte dann, ganz still und andächtig zu. Vor seinem geistigen Auge sah er dann die Bilder aus der alten Heimat von Oma, die Sehnsucht danach, den Schmerz und die Verzweiflung derer die vor Krieg und Not geflohen waren.
Das Radio, ein großes Röhrengerät, vorne mit Stoff bespannt, weiter unten die Skala mit den Namen der Städte von denen aus die Sender ihre Radiowellen in den Äther strahlten.

Noch weiter unten große elfenbeinfarbige Druckknöpfe.
Einer jener Knöpfe war im Laufe der Zeit zerbrochen. Der Opa handwerklich und auch kunsthandwerkliche sehr begabt und erfahren hatte jenen Knopf aus Holz nachgebildet, „gschnitzt“ sagte er. Er passte perfekt und ersetzte den entstandenen Schaden.

Links und rechts der Skala zwei große schwarze Drehknöpfe. Der linke für die Lautstärke, der rechte für die Senderwahl.
Drehte man diesen, bewegte sich ein senkrechtes weisses Stäbchen hinter der durchsichtigen Skala in der waagrechten hin und her.
Die Skala war von hinter mit 2 Glühlämpchen beleuchtet, so war alles gut zu sehen.
Er konnte dann auch der Knopf für die Kurzwelle drücken.
Bewegte er nun den rechten Knopf eröffnete sich Ihm die ganze Welt. Auf der Skala die Funk und Radiostationen einer ganzen Welt: Rom, Paris, London, Berlin, Hamburg, Moskau, Reikjawik…. .
Morsezeichen von fernen Schiffen.
Funkten sie etwa den Notruf dididi dadada dididi: Save ouer souls?

Plötzlich eine laute Männerstimme die in tempramentvollen Timbre italienisch sprach, gefolgt von lauter Schlagermusik.

Und dann: Eine sonore sehr bestimmte Frauenstimme:
zwo,neun, sieben, null, zwo, zwo….
Stundenlang hörte er zu.
Das waren die Gemeinagenten aus der Ostzone. So sendeten sie Ihre geheimen Botschaften von West nach Ost, bekamen neue Befehle.
Wie spannend wie abenteuerlich.

Dazu dann das magische Auge des Radiogeräts links oben auf der stoffbezogenen Lautsprecherblende. Hübsch eingerahmt in einem goldenen Rahmen die in der Mitte waagrechte kleine Blitze aufwies.
Dort glühte es geheimnisvoll in einem grünlichen Türkis.
Wählte man einen anderen Sender, breitete sich das Türkis aus, wurde intensiver und zog eine fächerförmige Bahn bis sich die beiden Fächer in der waagrechten zusammenschlossen. …
Wird fortgesetzt……..

Links:

Die Donauschwaben

Donauschwäbische Dialekte

Donauschwäbische Küche

Die Küche

Das erste Auto war ein dunkel rot lackierter VW Käfer. Der war über einen Freund der Familie günstig erstanden worden. Keine 100 Mark, wie sein Vater sagte. Käfer typisch der Geruch in inneren des Fahrzeugs. Ein bisschen nach Fußschweiß mit einer Note von kaltem Zigaretten Rauch und nach Benzin. Am deutlichsten hervortretend aber der Geruch von verbranntem Gummi. Alle Käfer Autos litten in ihrem fortgeschrittenem Alter an immer desselben Krankheit. Die Heizung ließ sich nicht mehr abstellen.
Der Hebel eingerostet, die Lüftungsklappen verhakelt. Im Winter sehr nützlich, aber nur begrenzt ihrer eigentlichen Bestimmung tauglich, nämlich zu heizen. Vor allem die winterlich gefrorene Windschutzscheibe taute man damit nie auf.
Zum Gummigeruch gestellte sich, noch oft scharf in der Nase stechend, der Geruch von Säure. Salzsäure aus der Autobatterie die sich unter der Rücksitzbank befand.
Damals, es war Herbst, schon dunkel. Er fuhr mit Vater in Richtung Herrenbrunnen. Der hatte versprochen einem befreundeten Ehepaar bei Renovierungsarbeiten zu unterstützen. Vater war ein handwerkliches Allround Talent.
Immer wenn ein Handwerker gefragt war, Vater war stets zur Hilfe bereit. So auch an jenem Abend.
Dort angekommen, geklingelt, was für uns schon eine Ausnahme war, weil dort wo Vater und Sohn lebten alle Haustüren gewöhnlich immer offen standen. Günter öffnete. „Guten Abend, schön das Ihr gekommen seid, hereinspaziert.“

Günter mit seiner Frau Kritzel, die mir sogleich einen Kakao anbot, sind beide Darbysten.

Sie betraten die Küche. Helles Neonlicht blendete ihn sofort. Es roch nach Erbsensuppe, vom Abendessen.
Typische Kochküche der 1960er Jahre. Viel zu klein zu eng. Kein Küchentisch.
Nur eine ausziehbare Resopal- Platte, Farbe weiß die zum Essen diente. Keine Küche zum Leben, zum Wohnen zur gemeinsamen Essen und trinken. Blitzsauber, steril und ohne Seele. Wie geschaffen sich Nahrung zuzuführen. Vater war schnell fertig. Küchenschränkchen aufhängen, Leiste ziehen. Fertig. „Willst Du was trinken?“ „Nein, muss noch Fahren.“. „Was essen?“ „Sind schon satt, haben schon zu Abend gegessen.
„Und Du junger Stammhalter“, wie er diese Zuschreibung hasste, Bonbon gefällig?“ „Ja gerne Danke.“ Bayrisch Blockmalz. Schmeckte wiederlich. Nach Küchenschrank, alt, aufdringlich süsslich. Na ja dachte Er sich. „Aus so einer Küche kann’s nicht schmecken.“

Mox continues (Wird fortgesetzt……!

Bruder Karlheinz spricht

Nachfolgend zwei Reden von meinem langjährigen Freund Karlheinz anlässlich meines 50. im Jahre 2008 und zum 60. Geburtstag im Jahre 2018.
Karheinz ist, er würde es selber nie von sich behaupten, ein begnadeter Redner.
Würde man Ihn daraufhin ansprechen, wäre es Ihm mit Sicherheit sehr peinlich.

Aber nun lieber Karheinz muss es einfach mal sein zwei Deiner Reden dem geneigten Zuhörer auch über unser geliebtes hessisches Hinterland hinaus, zum genussvollen Lesen zur Verfügung zu stellen:

Sapere aude

Ich zitiere:

…… Als Henry Kissinger 60 Jahre alt wurde, stellte er fest: „Als ich noch jung war, habe ich 60-Jährige für eine andere Sorte Mensch gehalten. Jetzt glaube ich, 20-Jährige sind eine andere Sorte.“
…. Dich, lieber Armin, kenne ich nun seit vielen Jahren, und du bist und bleibst von besonderer, von erstklassiger Sorte. Mit 60 genau wie mit 20 oder noch davor….. .
60 Jahre sind seitdem vergangen. Und wir haben uns hier und jetzt an diesem Ehrentag alle gemeinsam versammelt, um diesen Menschen zu feiern, der als Kollege und guter Freund ordentlich gewürdigt und gefeiert gilt.
Ohne zu dick aufzutragen erlaube ich mir mit Recht zu behaupten: Es ist eine Bereicherung, einen Menschen wie Armin mit seinen Eigenheiten, seinen Arten und Unarten, seinen Wandlungen, Veränderungen und Reifungen in körperlicher und geistiger Weise zu kennen und zu erleben.
Über all die zurückliegenden Jahrzehnte hat uns beide ein Kontakt verbunden, der phasenweise recht lose war, dann aber auch wieder intensiver. Das ist nicht zuletzt auch unseren unterschiedlichen Weg-führungen, beruflichen Herausforderungen und Lebens-konzepten geschuldet.
Während sich mein beruflicher Weg von NRW nach Hessen verlagerte, verhielt es sich bei Armin genau umgekehrt. Viele Jahre seines engagierten Schaffens hat er bis zuletzt im Nachbarbundesland zugebracht. Und auch nach seinem Eintritt in den Ruhestand sucht und findet er dort sinnvolle Betätigungen in der Begleitung von Projekten und der vertretungsweisen Durchführung einer Lehrveranstaltungen „Soziale Arbeit in der Behinderten-hilfe“ an der Uni in Siegen.
Und wenn wir beide auch in manchen Ansichten, Welt-sichten, politischen Einschätzungen, in theologischen Überzeugungen zuweilen durchaus anderer, hier und da vielleicht sogar konträrer Ansichten und gegenteiliger Meinung sind, liegt darin überhaupt kein Grund für daraus potentiell erwachsende permanente Auseinandersetzungen, für irgendwelche Streitereien oder Hindernisse, kein Grund gegen eine echte grundlegende Achtung und ehrliche gegenseitige Wertschätzung.
Dass dem so ist, zeigt sich darin, dass Armin angefragt hat, ob ich zu seinem Ehrentag ein paar Worte sagen könnte. Dem will ich gern nachkommen, wenngleich mir, sicher meinem fortgeschrittenen Alter und meiner nachlassenden Leistungsfähigkeit geschuldet, die rechte zündende Idee nicht zugewachsen ist, wie die, welche vor just 10 Jahren bei jener denkwürdigen Geburtstagsfeier in Netphen-Hainchen für allgemeine Erheiterung gesorgt hat und uns Armins Bemühungen zur Kontaktaufnahme mit seiner Frau Doris thematisierte und vor Augen führte.
Nun, das sind auch schon wieder 10 Jahre her. Wir alle haben 3650 Tage mehr auf der Lebensuhr und allein schon der Ort und der Rahmen der Geburtstagsfeier zum 60. Geburtstag in diesem gut situierten, angenehmen Ambiente heute differiert signifikant zu Art und Ort jener Sause des Jahres 2008 im Siegerland, die zu nachmitter-nächtlicher Stunde gar einen Polizeieinsatz hervorrief.
Es ist nicht zu leugnen und es ist wohl natürlich und es ist gut so: Mit den Jahren sind wir, die meisten von uns, doch in gewisser Weise ruhiger, sollte ich sagen, gesetzter gewor-den. Das will und muss nicht automatisch heißen: Gleichgültiger, miesepetriger, vielleicht gar resignierter und womöglich im Denken nur noch auf die Grundfläche eines Bierdeckels begrenzt.
Dass dem bei unserem Jubilar ganz und gar so nicht ist, verrät ein Blick in und auf Armins reges Unterwegssein in den sozialen Medien, das zeigen seine vielfältigen Statements, seine kürzeren und längeren Ausführungen in den sozialen Netzwerken und Internetauftritten.
Da tritt immer wieder und bis heute jener ihm seit Jugend-jahren innewohnende streitbare und gegen viele Miss-Entwicklungen opponierende Geist zu Tage, der Partei ergreift für Schwache, Behinderte, Ausgegrenzte und Benachteiligte und der nach wie vor Mut hat, gegen den Strom zu schwimmen. Das ist ein besonderes Charak-teristikum von Armin und spricht für ihn.
Ich hege heute nicht die Absicht, wie vielleicht erwartet, diese oder jene gemeinsamen Erlebnisse aus vergangenen Tagen hier aufleben zu lassen. Ich könnte wohl erzählen von mancherlei Internas und Erlebnissen aus Tagen und Nächten einer Jungscharfreizeit, in der Armin seine medizinischen Ersthelferkenntnisse als viel gefragter Therapeut bei kleineren Verletzungen oder Störungen des Wohlbefindens von 10-14 Jährigen in der Praxis erprobte und Beweise dafür lieferte, dass Placebos in ihrer Wirksamkeit durchaus mit anderen gemeinhin gängigen und teuren Medikamenten der Pharma-Industrie mithalten können.
Auch über manche Sitzungen im gut versteckten und mit fortschreitender Dauer der Abende zunehmend rauch-geschwängerten Logenlokal des Bundes „Die Feuerzange“ hüllen wir an dieser Stelle dezent den Mantel des Schwei-gens; selbst über jenen denkwürdigen Abend dort, als unter Zuhilfenahme eines Notstromaggregates eine besondere Dia-Vorführung möglich wurde. Gerade diese im kleinen Kreis geschehenen Ereignisse und Unterredungen, ob nun eher seicht oder überwiegend durch-aus niveauvoll, mögen in den Köpfen und Erinnerungen derer weiterleben, die sie persönlich miterleben durften.
Zudem stehen diese Details – vorwiegend aus winterlichen Abenden und Nächten mit all den Beeinflussungen und Wirkungen des dort obligatorisch und einzig auf der Getränke-Karte stehenden Feuerzangenbowlen-Gesöffs -ohnehin unter besonderer Geheimhaltung.
Sie laufen Gefahr, von denen, die den Geschehnissen nicht persönlich beigewohnt haben, eher kopfschüttelnd, befremd-lich, sicherlich wunderlich oder miss- oder unverständlich aufgenommen zu werden.
Von mancher Spezialität und Kuriosität, für die unser Jubilar eine erhebliche Mitverantwortung trägt, könnte hier schon Kenntnis gegeben werden. So beispielsweise vom länger geplanten, letztlich dann doch unterbliebenen Versuch, im Abwasser-Abfluss-System eines benachbarten Hauses in Oberdieten durch die Zufuhr und Beimengung von Hefe in den flüssigen Inhalt der Jauche-grube für ein gewisses Maß an Aufregung und einen spe-ziellen Aufruhr zu sorgen. Damit belasse ich es aber jetzt.
Das wissen wir doch alle: Es ist in der Regel klug, es ist besser, über manche Sachen den Mantel des Schweigens zu breiten und sie bei denen zu belassen, die das besondere Privileg besaßen, sie miterleben zu dürfen.
Wie sagten schließlich schon die Lateiner: „o si tacuisses, philosophus mansisses“ (auf gut Deutsch: „wenn du geschwiegen hättest, wärst du ein Philosoph geblieben“)
Dieses lateinische Zitat bahnt mir den Weg zur knappen Fortführung und Beendigung meiner Gedanken. Für eine kurze Ansprache zu einem Geburtstag begibt man sich gern auf die Suche nach einem hoffentlich passenden, im Idealfall gar perfekten Geburtstagsspruch. Zahlreiche Dichter, Denker, Schriftsteller und Philosophen aber auch „normale Leute“ haben über Jahrhunderte sinnige und unsinnige, Zitate, Redewendungen und Aphorismen verfasst, ob nun innig, von Herzen kommend, liebevoll, emotional und vertraut, bis hin zu bissig und peinlich. Das Internet bietet gegenwärtig eine Plattform für die ent-sprechende Suche.
Armin hat für sich ein Lebensmotto gefunden, das ihm, wie ich weiß, wichtig ist, mit dem er sich befasst hat und es weiterhin tut. Es handelt sich um die lateinische Wortfolge Sapere aude. Diese auf den antiken römischen Dichter Horaz zurückge-hende Aussage lässt sich übersetzen mit wage es, weise zu sein. Bekannt wurde der Ausspruch viel später vor allem durch den Philosophen Immanuel Kant, der ihn zum Leispruch der Aufklärung machte und als „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ deutete.
Ich bin überzeugt, dass dieser weise Satz in gewisser Weise Leitlinie und Richtschnur für Armins Beschäftigung und Auseinandersetzungen mit unterschiedlichen Fragestellun-gen und Überzeugungen gewesen ist und nach wie vor ist.
Denn selbständig denkende, mündige und mutige Bürger sind Grundlage und Bedingung für eine funktionierende Gesellschaft, Grundlage gerade auch für gute politische Entwicklungen und Entscheidungen!

Kant schrieb vor über 200 Jahren (ich erlaube mir, ihn zu zitieren):

Immanuel Kant

„Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt usw., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrieß-liche Geschäft schon für mich übernehmen.“
Armin möchte in diesem Sinne im Rahmen seiner Möglich-keiten für sich gegensteuern und seine Verantwortung als denkender und mündiger Bürger wahrnehmen, seine Zeit-genossen zu motovieren, nicht zu schweigen, sich nicht in ihr Schicksal zu ergeben, sondern Position zu beziehen, Profil zu zeigen und dadurch Spuren zu hinterlassen.
Dass das kein einfacher Weg ist, versteht sich von selbst. Deshalb eine weitere von Armin gebrauchte Weisheit: „Ad Portum itur per Procellas – Zum Hafen gelangt man durch Stürme.“

Lieber Armin, zu deinem 60. Geburtstag wünsche ich dir eine Menge: Geduld für die Enkel, Verständnis für deine Ehefrau und alles Glück der Welt.
Zudem wünsche ich dir -und ich gehe davon aus, dass sich andere ebenso diesen Wünschen anschließen – Weisheit, Geduld, Gelassenheit, weiterhin Lernbereitschaft und Lernfähigkeit, Standfestigkeit, Gesundheit, Energie für deine weitere Zeit, und in und über allem Gottes Segen, an dem „alles gelegen“ ist, wie unsere Väter es schon formu-liert haben.
Ein mir unbekannter Verfasser formulierte angesichts eines 60. Geburtstages folgendes:
Sechzig, das ist weder alt, noch ist es wirklich jung, es ist etwas dazwischen halt, doch immer noch mit Schwung, führst Du Dein Leben gut gelaunt; und bist Du mal gescheitert, hast Neues Du drauf aufgebaut.
Genau so geht’s, mach nur so weiter, so ist es allemal gescheiter!
P.S.:
Sollte dir als Senior in einem Bus oder in einer Straßenbahn jemand seinen Platz anbieten, dann denke daran: Besser fest sitzen als wackelig stehen.
Nochmals alles Gute!

Wo ist Wotan

Ich zitiere:
Es geschah zu der Zeit, da unser Jubilar Armin Herzberger noch im Breidenbacher Ortsteil Oberdieten, im Haus seiner Vorfahren mütterlicherseits beheimatet war.
Seine Schulzeit lag wohl noch nicht lange zurück, die berufliche Orientierung begann.

Seine Sympathien galten, angesichts später gänzlich andersartiger Entwicklungen seiner Vita, überraschender Weise der Metallbearbeitung und -gestaltung, war auf Gewinde und Drehmomente gerichtet.
Erst allmählich rückten andere Prioritäten in den Vordergrund seiner Wahrnehmung. Ein mögliches Studium der Sozialpädagogik zeichnete sich ab und wurde konkret.

Obgleich seinerzeit körperlich unauffällig, machte Armin immer wieder durch überaus originelle und noch dazu lautstarke Äußerungen, gesprochen und in gesungener Form, auf sich aufmerksam.

So konnte es durchaus geschehen, dass er angesichts nahender Gewitter und heftig hernieder prasselnden Regens,
selbst zu nachtschlafender Zeit die germanischen Götter, allen voran,
deren Oberhaupt Wotan
aus dem geöffneten Fenster anschrie
und zur Mäßigung und Verhaltensänderung aufforderte.

Wo ist Wotan?

Wo ist Wotan?

Aus diesem geöffneten Giebelfenster direkt unter dem Dach sah man zudem häufiger eine Angelschnur quer über die Feldstraße sausen. Ein Hinweis auf Armins Zielwurftraining mit Angelrute und Schur als Vorbereitung für seine damals vorhandene Angelleidenschaft. An den Haken ging dort aber, soweit auch im Nachhinein bekannt geworden, kein Fisch.
Ein besonderer, außergewöhnlicher Fisch (man verzeihe mir diese Ausdrucksweise) rückte in jenen Tagen, aus welchen Anlass und auf welche Art und Weise auch immer, in Armins Blickfeld.
Auf eine bestimmte Dame richtete er sein Augenmerk .

Die Gedanken an selbige ließen Armins Fantasie nicht mehr los. Es erhob sich für ihn die Frage, wie man mit dieser Person in Kontakt kommen könnte.
Wäre oder war der Kontakt einmal vorhanden, sah Armin keine größeren Schwierigkeiten, mittels verbaler und nonverbaler Kommunikation das auszudrücken, was er sagen und zeigen wollte.
Bloß, wie gelang die Verbindung?
Was tun?

Problematisch war nicht, dass er in einem anderen, Diete abwärts gelegenen Breidenbacher Ortsteil aktiv werden musste. Mobil war er, Auto fahren konnte und durfte er.
Die Hürde bei dem geplanten Unterfangen war der erste Schritt.
Der Weg ins Haus in der Buchwaldstraße.

Die Tragweite dieses ersten Schrittes war Armin sehr wohl bewusst.
So überließ er diesbezüglich nichts dem Zufall.
Selbst eine Portion 4711 auf die empfindlichen Bindehäute seiner Augen und eine damit einhergehende Krankschreibung wegen Bindehautentzündung musste herhalten, um mehr Zeit für seine Überlegungen zu gewinnen.

Es ging ganz konkret um den Schritt in die Wohnung von Doris, bzw. deren Eltern.
Wie sollte er sich verhalten?
Was sollte er sagen?
Wie zahm oder stürmisch sollte die Tür geöffnet werden?
In welchem Tonfall müsste die Begrüßung der Eltern von Doris erfolgen?
Fragen über Fragen.

Nun begab sich unser geschätzter Jubilar auf einen nicht unbedingt ganz üblichen Weg.
Armin begann eine Übungseinheit dazu in unserem Haus, welches er öfter betrat und in dem er vielmals seine angebrochenen Zigarettenschachteln vergaß oder auch bewusst samt Feuerzeug liegen ließ.

Die in den Folgewochen vielfach geprobte Szene umfasste eine kurze Handlung und lediglich 7 Worte:
Aus dem Flur kommend, öffnete Armin nach kurzem Klopfen in unterschiedlicher Ausprägung die Küchentür in unserem Haus und betrat die Räumlichkeit mit immer denselben Worten: Gen Dach, ess da aue Doris derhäm?
Mal dezent, mal kernig, mal fordernd, mal schüchtern:
Immer wieder:
Gen Dach, ess da aue Doris derhäm?

Durch dieses Training baute er nach und nach ein Stück weit seine Unruhe… —ab und gewann zunehmend Routine, die ihn befähigte, eines Tages den ganz entscheidenden Schritt in Niederdieten zu vollziehen, um in seinem Gefolge später um die Hand von Doris anhalten zu können.

Gen Dach, ess da aue Doris derhäm?
Ob er dann wirklich auf diese Weise und unter dieser Wortwahl in Niederdieten Eingang finden konnte, ist nicht authentisch bezeugt.

Was lernen wir aus diesem Geschehen, das nahezu 30 Jahre zurückliegen dürfte?

Ein kleiner Schritt durch eine Zimmertür
ermöglicht einen großen Schritt zu einer Herzenstür.

Und : Übung macht den Meister.
Ganz einfach, eben:
Gen Dach, ess da aue Doris derhäm?
Zitat Ende

Diese Rede bedarf keiner zusätzlichen Illustration, keines zusätzlichen Kommentars.
Sie spricht so wie sie verfasst und vorgetragen ist für sich

Chapeau Karheinz

Vincent Klink

Vincent Klink ist ein deutscher Küchenmeister, Autor, Herausgeber und Verleger von kulinarischer Literatur und ein bekannter Fernsehkoch.

Zitate:

„Ohne Hirn kein Schmack und umgekehrt.“

„Kinder sind es, welche die Welt vorwärtstreiben, egal, wie alt sie sind.“

„Es ist ein extremes Land, mit großen regionalen Unterschieden in der Kultur, in der Landschaft, in der Küche. Auch die Bandbreite zwischen wunderbaren Menschen und Vollidioten scheint mir nirgendwo größer.“

„Es ist schön dem Zeitgeist zu folgen. Schöner ist es aber eine Antwort darauf zu haben.“

„Maultasche muß Maultasche bleiben und da gehört kein Lachs oder sonstiger Zeitgeist hinein.“

Menschen in der Arbeitswelt

Ohne Humor und Ironie kann man gar nicht leben (Mauricio KAGEL, Komponist)

Von Dr. Wolfgang Näser, Marburg

Die meisten Menschen nehmen sich nur wenig Zeit für ein ebenso faszinierendes wie kostenfreies Studium: nämlich das ihrer Mitmenschen. Ein solchermaßen bewußt zugebrachter Tag in der Arbeitsstelle kann sich spannender gestalten als der berühmte Besuch im Zoo, gibt es doch unter den Zweibeinern ebenso skurrile und merkwürdige Typen wie in der sogenannten Tierwelt. Ganz allgemein ist es jedoch sehr nützlich, wenn wir kurz einhalten, uns einige Minuten der Besinnung gönnen und uns bewußt werden, mit wem wir es möglicherweise zu tun haben und welchen Standort wir selbst einnehmen in all dem menschlichen Mit-, Durch- und Gegeneinander.

Die folgenden Typ-Beschreibungen sind das Ergebnis eigenen Nachdenkens; meine Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die „männliche Form“ entspringt lediglich grammatischer Ökonomie; alle Typen sind jeweils in beiden Geschlechtern anzutreffen. Manchmal begegnen uns auch Menschen, die Charakteristika mehrerer „Typen“ in sich vereinigen.

Der Angeber 
Seine Arbeit ist der Nabel der Welt; sein Denken und Handeln setzen Maßstäbe, ohne ihn geht es nicht (denkt er). Indem er sich erhöht, erniedrigt er die übrigen.

Der Biegsame 
Nicht, wie man vermuten könnte, geistige Flexibilität zeichnet ihn aus, sondern ein Mangel an Rückgrat; eng verwandt mit dem -> Opportunisten und dem -> scheinbar Hilflosen, führt er ein schwer durchschaubaresamphibisches Dasein und wird erst dann gefährlich, wenn er sich mit dieser Existenzform ein hohes Amt gesichert hat. Dann nämlich erweckt er leicht den Anschein von Souveränität und Verläßlichkeit und verrät gerade die, die sich ob dieses schönen Scheins vertrauensvoll an ihn wenden. VORSICHT: eine ganz besonders heimtückische Kreatur!

Der Bollerkopf 
Seine Hauptqualifikation wird in dB (Dezibel) gemessen (Bel kommt von A.G. BELL, könnte hier auch auf „Bellen“ bezogen sein). Er ruiniert fast jede Telefonkapsel und jedes intakte Trommelfell; cholerisch, wie er ist, brüllt er seine Ansichten heraus („Wer schreit, hat Unrecht“ gilt hier nicht immer!) und ist dann meist schnell wieder im Lot, weil er seinen Psycho-Müll vokal entsorgt hat. Aus diesem Grunde frißt er nie etwas in sich hinein, wird uralt und „erfreut“ noch in hohem Alter seine Mitmenschen, allerdings jetzt als Pensionär. Die im Grunde ehrlichen „Brüll-Affen“ sind meist nicht nachtragend.

Der Delegator 
Selbst die schwierigsten Arbeiten übernimmt er, verspricht vollmundig deren optimale Erledigung – und gibt sie an Dritte weiter. Er bekommt nie schmutzige Hände: er, der Koordinator und Organisator. Es gibt viel zu tun: verteilen wir es.

Der Fiesnickel 
Bisweilen auch Ekel oder (auf tieferer Sprachebene) Kotzbrocken genannt. Nach dem Motto „Wenn es mir schlecht geht, warum soll es dann anderen gut gehen?“ stets bestrebt, die eigene schlechte Laune auf die Mitmenschen zu übertragen (Giftgallen-Transfusion) oder Kollegen bzw. Untergebenen das mit gutem Willen zu bewältigende Arbeitsleben zur Hölle zu machen. F. sind manchmal gleichzeitig Workaholics, da sie zu Hause, also im Privatleben, nichts zu melden haben.

Der scheinbar Hilflose 
Er kann keinen Nagel in die Wand schlagen und hat zwei linke Hände: jede von ihnen wäre glatt gut genug, einen Meineid zu schwören. Sein Leben gründet darauf, daß ihm andere zuarbeiten; so ist er groß geworden und hat die, die ihm halfen, verbraucht am Wegesrand zurückgelassen. Sein harmloses Lächeln wiegt die Mitmenschen in Sicherheit, aus der heraus sie ihm selbst ihre intimsten Nöte und Geheimnisse anvertrauen, um sich damit ihr eigenes Grab zu graben. Denn der scheinbar so naive Lächler hat es faustdick hinter den Ohren.

Der Idealist 
Oft äußerst sensibel, nicht selten auch künstlerisch begabt und offen für die Mitmenschen und ihre Probleme. Der Idealist leidet an dem ihn umgebenden Unrecht. Er denkt und redet gradlinig, sitzt oft zwischen den Stühlen, leidet physisch und psychisch an seiner Umgebung, bringt es nur dann zu hohen Würden, wenn ihm irgendwann einmal Gleichgesinnte unter die Arme gegriffen haben. Ansonsten verharrt er meist im Mittelfeld und wird von Kollegen und Vorgesetzten gleichermaßen verkannt.

Der Initiative-Blocker 
(-> Bollerkopf, -> Fiesnickel, -> Statistiker) wartet stets ab, bis ein Mitarbeiter sich durch Eigeninitiative fast profiliert hat, um dann ex officio („das gibt das Amt her“) diese Initiative abzuschmettern. Ziel ist die Konstanz derMediokrität, die auch im universitären Rahmen (leider) oft sehr guten Nährboden vorfindet. Hilfe findet der IB oft bei besonders stromlinienförmigen -> Opportunisten. Auf Solidarität können seine Opfer schon deshalb kaum rechnen, weil in der Regel viele Bequeme den Initiative-Entfaltern nicht das Schwarze unterm Nagel gönnen und es aus einer anderen Art von Bequemlichkeit (sagen wir besser: aus Feigheit) und/oder Gleichgültigkeit vorziehen, im Falle des Falles wegzusehen/-zuhören und/oder den Mund zu halten. Auf diese Weise und nur so können Diktatoren jeglicher Art und Couleur zu Macht und Ansehen gelangen. Heinrich MANN („Der Untertan“) läßt grüßen: das gilt auch im nächsten Fall.

Der Karrieremacher 
Auch Erfolgsmensch oder Macher genannt. Accessoires: Handy, Samsonite-Koffer (mit Notebook), Nadelstreif und BMW. Jung, dynamisch, sportlich (Jogging), informiert, eloquent (eingebaute Datenbank für Profi-Phrasen) und gewinnend (Parties). Egozentrischer Utilitarist. Beurteilt die Menschen nach Man-Power. Verhalten ist für ihnStrategie. Einzig um schnellen Aufstieg bemüht und meist mit Hilfe zahlreicher Zuarbeiter bewältigt er die Stufenleiter in Rekordzeit. Jedes Stadium ein Lernschritt, jeder Eindruck eine auszuwertende Information. Gut nur das, was nützt. Gefühl ist out. Der einprogrammierte Kurs führt vorbei an den Menschen und deren Problemen. Nach Absolvieren aller Hausaufgaben residiert der KM in saalartigem Ambiente vor hochglanzpoliertem De-Luxe-Schreibtisch und lenkt mit einsamen Entscheidungen sein Imperium.

Weibliche Variante ist die sogenannte Karrierefrau. Ihre Devise: eine Frau muß immer besser (in diesem Falle rücksichtsloser) als ein Mann sein, um akzeptiert zu werden. Irgendwann, wenn überhaupt, stellt sie fest, daß weibliche Grazie und frauliche Würde auf der Strecke geblieben sind und daß das, was in dem Nadelstreifenkostüm steckt, ein nur etwas anderer Mann ist. Schade.

Der Kumpel 
Offen und ehrlich, immer zu Gesprächen und Hilfe bereit, stellt er die eigenen Interessen zurück, wenn es um die Kollegen geht. Der Typ, mit dem man Pferde stehlen möchte. Hat immer einen Kaffee, wenn es einem dreckig geht. Ist die gute Seele (s. auch dort) im Betrieb, hat selten Aufstiegschancen, weil er sich keine Zeit nimmt, an sein Fortkommen zu denken. Oft in Personalvertretungen anzutreffen.

Der Motivator 
Der Idealtyp eines Vorgesetzten (oder Team-Kollegen). Erkennt intuitiv die Begabungen und Neigungen seiner Mitmenschen und bestärkt sie darin, diese zum Wohle des Ganzen optimal einzusetzen. Obwohl selbst vielbeschäftigt, hat er doch ab und an Zeit für ein paar freundliche Worte: zur rechten Zeit und am rechten Ort.

Der Naive 
Wie ein Traumtänzer geht er durch’s Leben, immer den passenden Schutzengel neben sich; er hat noch die in Kleists „Marionettentheater“ erwähnte Unschuld. Argwohn, Mißtrauen, Intrigen sind ihm fremd, und so entgehen ihm auch Schlechtigkeiten, die für jedermann außer ihm gut sichtbar direkt vor seiner Nase passieren. Die Naivität ist unbewußt ein hervorragender Schutz und garantiert ein bis ins hohe Alter unversehrtes, stabiles Nervensystem. Negativ: der Naive wird oft unbewußt zum Werkzeug von Intrigen.

Der Opportunist 
Er braucht keinen Windkanal: sein CW-Wert übertrifft die kühnsten Ingenieurträume, denn er ist super-stromlinienförmig und aalglatt. Er tut immer das, was man von ihm verlangt, begehrt nie auf, paßt sich an, sein Fähnchen eilt der Winddrehung um eine Zehntelsekunde voraus. Wenn es opportun ist, verrät oder übergeht er die eigenen Kollegen.

Der Pedant 
Er bedenkt und bearbeitet alles bis ins Mikroskopische, wird deshalb selten fertig, beklagt sich ständig überUnordnungGammelei und Nachlässigkeit im Kollegenkreis, ordnet in psychopathologischem Zwang auf Kollegentischen die Bleistifte zur Parade-Formation, vergißt über seinem Genauigkeitsfimmel, daß es noch Menschen um ihn herum gibt und daß diese Sorgen haben, um die er sich vielleicht auch etwas genauer kümmern könnte.

Die Quasselstrippe 
Eine unaufhörlich und meist über andere redende Person. Ihr Arbeitsgerät ist der Telefonhörer, den sie (nach pharaonischem Brauch) als Beigabe mit ins Grab bekommt. Die QS interessiert sich für alles und jeden, ist eine wandelnde Enzyklopädie ihrer Umwelt, kennt die Kollegen und ihre Familien, ist als Info-Börse Anlaufstelle fürSorgenNöte und Vertraulichkeiten aus dem Kollegenkreis. Auch in populären TV-Serien (Familie Hesselbach, Büro-Büro) und -sketchen immer wieder gern karikiert, stirbt diese meist liebenswerte Spezies allmählich aus, findet sie doch weder Platz noch Nahrung in den unpersönlich-kalten Glitzerwelten und competence centersunserer Technokratie.

Der Querulant 
Mit dem Bollerkopf wesensverwandt, hat er eine Meisterschaft entwickelt darin, es mit jedem nur möglichen Mitmenschen zu verderben. „Viel Feind, viel Ehr“ ist seine Maxime.  

Der Resignator 
In einem langen Arbeitsleben wurde er so oft übergangen, verkannt und gedemütigt, daß er es aufgegeben hat, irgendwelche Initiativen zu entfalten oder mit den Vorgesetzten über seine Lage zu sprechen. Er, der für seine Arbeitsstelle möglicherweise so Wertvolle, Ergiebige, werkelt still und apathisch vor sich hin, offenbart sich gelegentlich seiner Mitwelt, die dann meist Sympathie heuchelt und froh ist, daß es nur ihn getroffen hat.

Der Schweigsame 
Ihn merkt man kaum. Der Schweigsame kommt, arbeitet, geht, erscheint nie zum Tee, im Grunde weiß niemand so recht, was er tut. Das ist schade, könnte er doch aus seinem Tun, Handeln, Beobachten und Fühlen heraus vieles Gute und Interessante an seine Mitmenschen weitergeben. Stille Wasser gründen tief!

Die gute Seele 
Diese Spezies ist meist weiblich; unzählige Sekretärinnen und Sachbearbeiterinnen überstrahlen die Arbeitswelt mit der milden Sonne eines ausgesprochen lieben Wesens. Gäbe es sie nicht, so hätte möglicherweise so manche im Dienst gequälte Mensch allen Grund, sich vor oder hinter einen Zug zu werfen. Das Lächeln einer guten, lieben Seele versetzt mehr Berge als eine ganze Bibliothek voller abstruser, als Resultat geistiger Blähungen freigesetzter Theorien.

Der Sensible 
Oft mit hochgradig künstlerischen Neigungen und Begabungen gesegnet, hungert der sensible Mensch in seinem Arbeitsfeld nach einfühlsamer Behandlung und dem Kontakt mit Gleichgesinnten, doch dieses Verlangen bleibt fast immer unerfüllt. Der sensible Mensch erduldet still alle Demütigungen (für die er eine ideale Übungs-Zielscheibe darstellt), sein Nervensystem ist bald zerrüttet, gravierende Gesundheitsschäden und ein frühes Siechtum sind die Folge.

Der Statistiker 
Ihn gibt es sowohl als Vorgesetzten wie als Mitarbeiter. Ersterer will zu allem und jedem eine Aufstellung (noch gestern) und kontrolliert alles: vom Fenster-Schließen bis hin zum Klorollenverbrauch; letzterer zählt und dokumentiert alles, bis hin zur Anzahl seiner Beiwohnungen; hat er Glück, avanciert er in eine Führungsposition.

Der Tüftler 
Nichts ist unmöglich, seine Devise. Kein Problem, das nicht gelöst werden kann. Der Wissenschaftler muß wissen, was zu wissen ist, und alles machen, was zu machen ist, sagte sinngemäß Edward TELLER, der Konstrukteur der Wasserstoffbombe. In seiner genialischen Verbissenheit steht der akademische Tüftler fernab von jeder gesellschaftlichen Verantwortung, ist williges Werkzeug skrupelloser Politiker. Das Problem fasziniert, die Lösung befriedigt, die Bombe fällt, und schon ist Hiroshima ausradiert.

Den Tüftler gibt es auch in einer geisteswissenschaftlichen Version. Er sitzt in seinem Elfenbeinturm und zählt sprachliche oder literarische Fliegenbeine, während „draußen“ brutale Kriege geführt und politische Lösungen, zu denen er sein geistiges Potential beisteuern könnte, nicht gefunden werden.

Der Wichtigtuer 
Wesensverwandt mit dem -> Angeber. Für ihn gilt das Axiom, daß manche Menschen nur in aufgeblasenemZustand sichtbar werden. Er macht aus allem einen coitus principalis *). Es gelingt ihm, alles hochzustilisieren: zuallererst die eigene Arbeit, aber auch jeden kleinsten Zwischenfall, der durch sein Zutun kriegerische Dimensionen annimmt.

Der Workaholic 
Dieser Suchtkranke lebt, um zu arbeiten. Die Arbeitsstelle ist oft Fluchtpunkt einer Existenz, die daheim unter dem Pantoffel steht nach dem Motto „Papa hat bei uns nichts zu sagen“. Der W. schuftet wie ein Berserker, auf seinem Schreibtisch türmen sich „gewachsene Haufen“ unerledigter Vorgänge, das WühlenSortierenAbzeichnenund Stempeln sind sein Lebens-Elixier. Über seiner Arbeit vergißt er, daß es Kollegen gibt.

Der Zeitlose
Scheinbar träumerisch durchs Leben (und die Arbeit) gehend, koppelt er sich ab von allen technischen Innovationen, die – zu hause wie im Beruf – die Arbeit erleichtern, neue Horizonte eröffnen und Erkenntnisse bringen könnten. Der Z. hält wenig von den sogenannten Neuen Medien, erzählt stolz, daß er daheim entweder keinen Fernseher hat oder ihn so gut wie nie benutzt; im Büro lehnt er Computer strikt ab (und nimmt daher verfügbare Etat-Mittel nicht in Anspruch), hält natürlich auch nichts vom Internet (einer Brutstätte von Kinder-Pornographie und sonstigen Verbrechen, hat er irgendwo gehört), von E-Mail und all diesem Zeugs. Aufgrund seiner gehobenen Position hat er das zweifelhafte Glück, sich solche Standpunkte leisten zu können. In den oftesoterisch angehauchten, realitätsfernen Zirkeln, in denen er privat verkehrt, hat er sich mit seinerTechnikfeindlichkeit ein gewisses Maß von Achtung und Anerkennung erworben.
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*) Fürstenbeischlaf

(c) Wolfgang Näser 8/96 ff.

http://staff-www.uni-marburg.de/~naeser/welc.htm