Puddingabitur Ein Glaskasten links hinten. Von links bündig mit der Fensterfront. Etwa vier Meter lang und vier Meter breit. Dieser Kasten war Bestandteil der Lehrlingswerkstatt bei der Firma Merkator und Heimbürger am Rande der Gemeinde Waldau ganz nahe an der Landesgrenze zwischen Hessen und Südwestfalen.
Man produzierte Fleischereimaschinen im großen Stil. Für Schlachthäuser hauptsächlich auch für Wurstfabriken. Die Lehrwerkstatt, ein langer Schlauch. Etwa 15 Meter lang, 8 Meter breit. Der Boden aus Beton, schwarz von Metallstaub und Spänen, vermischt mit Bohröl und anderen schmierenden Bestandteilen, die eben zur Metallbearbeitung notwendig ist. Dieser eckelerregende Duft Cocktail aus heiß gewordenem Bohröl, ranzigen Schmierfetten und Ölen waberte durch alle Fabrikgebäude, so auch durch die Lehrwerkstatt. Er klopfte an die Tür des Glaskastens. Die Scheibe darin schepperte vernehmlich. „Herein“, daß „He“ verschluckte er immer. Also „Rein“ „Was hasde scho wörrer (schon wieder) ? Adolph Jakobus der Lehrlingsmeister, residierte in diesem Glaskasten. Ein dicker Mann, Brille ein schmieriges Recht aufgedunsenes Gesicht, Glatze, die spärlichen Haare von links nach rechts, fettig über die Glatze gezogen. Der Glaskasten war erfüllt von Gestank.
Jeder wußte, daß er an Verdauungsschwierigkeiten litt, dauernd pupste, unangenehm säuerlichen, fauligen Mundgeruch ausatmete. Kettenraucher, Ernte 23. Eine rundum mürrische Persönlichkeit, grundsätzlich mißtrauisch und ablehnend gegenüber seinen Schützlingen. Er trug den üblichen grauen Kittel,im Gegensatz zu den Schlossern dieser Firma jedoch sauber, ohne Öl- und schwarzen Schmutzflecken. „Zeig her!“ Er reichte Ihm ein blankes zurechtgefeiltes Stück Stahl in U Form. Er zückte ein Stahllineal. 10 Zentimeter lang mit Millimeter genauer Zahlenteilung. Er hielt sein Lineal aufrecht, legte es aus die äußere Fläche des U-Stahls, habe es gegen das Licht, kniff ein Auge zu und prüfte. Er schüttelte den Kopf. „Total ungenau. Hier ein Bogen reingefeilt, da mindestens 2 Zehntel zu wenig abgenommen, dort nicht richtig entgratet Hier der Radius an der Innenseite überhaupt nicht bearbeitete.“ Er hatte es geahnt. Kleine Schweißperlen traten Ihm auf die Stirn. Ihm wurde ganz übel. „Ausschuss, nochmal machen“ Er zündete sich eine Ernte an, nahm einen tiefen Zug und sagte. „Und sowas will Ingenieur werden.“
Er dachte: “ Der Mann hat Recht“ Ingenieur war keineswegs seine Berufung Wie hatte er den der U Stahl überlebt? Ja, hat er hat es überlebt. Feilen, vor allem, wenn sowas über Tage und Wochen geht, war vorderhand sehr mühsam, im Grunde genommen ein Trauma für ihn.
„Am wichtigsten ist, daß du nicht zu schnell feilst, maximal zwei Striche/Sekunde. Nicht wild drauflosfeilen, sondern ruhig und überlegt. Schraubstock auf die richtige Höhe einstellen, am besten den Ellbogen 90° abwinkeln und die Feile sollte genau auf dem Werkstück liegen, dann hast du mal die richtige Höhe. In dieser Stellung wirst du auch schnell das „richtige“ Gefühl für einen geraden, planen Strich bekommen. Immer möglichst diagonal feilen, um die besser Auflage zu haben und weniger zu kippen – paar Striche links, ein paar diagonal verkehrt nach rechts. Solltest du dennoch den einen oder anderen Buckel drinhaben, mit dem vorderen Teil der Halbrundfeile diese Stelle bearbeiten, bis der Buckel halbwegs weg ist, dann wieder mit einer geraden weitermachen.“
Diese Sätze dienten Ihm als eine Art Mantra, um durchzuhalten, um sich gegen aufkeimende Depressionen, gegen die Verzweiflung ob der Sinnlosigkeit dieser Arbeit, zu wehren. Mit wenig Erfolg. Es war diese Gleichförmigkeit, diese als unentrinnbar empfundene Zwangsläufigkeit, diese Dumpfheit, Trägheit in den Augen der Arbeiter, die, so glaute er, schon aufgegeben hatten von einem anderen Dasein wenigstens noch zu träumen.
Die Gesichter grau, so grau wie die Kittel die sie trugen. Die Augen ausdruckslos ins Leere starrend. Ganz entfremdet, von einem elementaren Teil der menschlichen Existenz des schaffenden Menschen der in seiner Tätigkeit Sinn findet. Nur noch an den Feierabend denkend, an das Wochenende. An die freien Tage, vor allem an die nach Weihnachten, an den Jahresurlaub.
Nachdem er dem ABB Plan und damit diesem unsäglichen Adolph Jakobus entronnen war, so nach 3 Monaten, glaubte er dem schlimmsten entronnen zu sein. Weit gefehlt. Man steckte Ihn, so wie es im Plan für sein Praktikum vorgeschrieben war, ins Konstruktionsbüro der Firma, so gab man vor. Er landet allerdings im Keller des Konstruktionsbüros. Dort wurden Kopie angefertigt. In der Hauptsache Betriebsanleitungen monströser Maschinen, die in der Hauptsache nach Russland exportiert wurden. Vorne Ochse rein, hinten Bockwürstchen raus, wir „Rutz“ zuspitzend bemerkte. Rutz war ein junger Mann, Maschinenschlosser von Beruf und seit vielen Jahren bei der Firma Merkator beschäftigt. Er fuhr „auf Montage“ vor allem nach Russland, um besagte Monstermaschine vor Ort aufzubauen und in Gang zu bringen. Sein oft 3 bis 4 Monate währender Aufenthalt in Russland steigerte seine Trinkfestigkeit enorm, ohne daß er jeh einen Alkoholismus daraus entwickelte. Tausende Seiten Betriebsanleitungen, auf russisch, kopierte er in jenen Wochen. DeI Kopiemaschine lief ständig warm, ja sie glühte regelrecht, bis sie ihre Funktion aufgab und ersteinmal ausruhend abkühlte.
Der „Kopier- und Blaupausen Keller“ war ohne Tageslicht, erhellt von grell leuchtenden Neonröhren. Es roch nach Papier, überhitztem Kopiergerät und, wenn riesige Blaupausen hergestellt wurden eckelerregend nach …… . Trotz dieser vergleichsweise widrigen Bedingungen fühlte er sich dort recht wohl. Nicht zuletzt deswegen, weil dort auch recht attraktive Frauen jüngeren Alters tätig waren, die keck und adrett gekleidet, sich wohlwollend von den alltagsgrauen bekittelten Männern abholen denen er sonst begegnet war. Er selbst durfte nun auch den grauen Kittel ablegen und Schlaghosen tragen, damals modisch hochaktuell.
Zu jener Zeit verbrachte er geraume Zeit in der Herrentoilette, einfach um den Dingen wenigstens räumlich zu entrinnen. Rauchen in der Toilette war damals kein Problem. In der Toilettenkabinen war überall ein Aschenbecher neben der Klorolle angebracht. Er zündete sich dann eine seiner geliebten Gauloises ohne Filter an, dachte nach und ließ sich von seiner Phantasie davontragen. In der Puddingschule, die er während dieser Zeit drei mal die Woche besuchte, gab es das Fach Religion. Eines jener Fächer, daß Ihn wirklich interessierte. Abgehalten von einem gewissen Herrn Ginsterburg, einen Lehrer Anfang sechzig, mit wirren spärlichen Harren, mit schlechter Reputation bei den Schülern. Er fand, vollkommen zu unrecht. Er trug nicht vor, sondern ließ zu bestimmen Themen diskutieren. Die Themenstellungen waren sehr unterschiedlich, berührten unterschiedlichen Themenstellungen, vor allem ethische aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen. Es waren vor allem ethische, gesellschaftlich politische Fragestellungen.
Er zeigte sich als ein empfindsamer, wacher Humanist, dem nicht egal war welchen Weg die damalige Gesellschaft nehmen würde. Seine Schüler verstanden das nicht, oder wollten es nicht verstehen. Im Gegenteil, sie überzogen Ihn mit Spott und Hohn. Einmal sagte er: “ Meine Herrn ich trage mein Herz auf der Hand.“ Erstaunlich ehrlich. Vor allem für einen Mann der damaligen Generation. Ihm hat sich dieser schöne Satz tief eingeprägt. Um Laufe der Jahre dann, mit einer bitteren enttäuschten Hinzufügung: „Wer sein Herz auf der Hand trägt ist in Gefahr es weggenommen zu bekommen.“ Zur Weihnachtszeit redete er über dem Liedermacher Dieter Süverkrüp, der sich kritisch mit dem bürgerlichen Verständnis der Weihnachtsbotschaft in Form eines Gedichtes auseinandersetzte:
„Stille Nacht, heilige Nacht Weihnachtsgeld wird gebracht Durch Herrn Ruprecht vom Lo-hohnbüro Schweigend geht die Belegschaft aufs Klo.
Zählend, wie viele Krümel Gnädig vom Herrntisch gefall’n Stille Nacht, heilige Nacht Falscher Trost! O, wie lacht Der Direktor mit randvollem Mund Singt uns gnädig zu göttlicher Stund: „Arbeitsfriede auf Erden!“ Wir fallen mal wieder drauf rein
Billige Nacht, eilige Nacht Ratenkauf, leichtgemacht Durch der Engel Alleluja Die gehören zum Werbe-Etat Denn der Vater im Himmel Ist Präsident vom Konzern
Stille Nacht, heilige Nacht Lichterbaum angemacht Und ein liebliches Liedlein gesingt Und ein Eierlikörchen getrinkt Und die Kinder geprügelt Bis sie hübsch andächtig sind.
Gute Nacht, peinliche Nacht Fernsehspiel ausgemacht Und im Magen ein flaues Gefühl Weil die Liebe nicht hochkommen will
Noch zwei Nächte zum Schlafen Dann wieder rinn in‘ Betrieb Stille Nacht, heilige Nacht Weihnachtszeit rumgebracht Großes Gähnen im Portemonnaie Überstunden tun immer noch weh!
Falscher Frieden auf Erden Feierten wir mit den Herrn Wilde Nacht, streikende Nacht Eines Tag’s, nicht ganz sacht Pfeifen wir auf die Gnade der Herrn Übernimmt mal das Volk den Konzern Und die Führung im Staate Das wird ein Weihnachtsfest wer’n.“
Aus heutiger Sicht ein ziemlich dummes Gedicht. Perspektivlos, holpriges Versmaß, ideologisch einseitig, flach. Zu jener Zeit aber zeitgeistentsprechend und durchaus angebracht.
Zu dieser Zeit, morgens Viertel nach sechs an der Behelfshaltestelle zur Firma Merkator und Heimbürger, es war kalt, düster und regnerisch. Er verließ den Arbeiterbus. Der Dunst aus Diesel, überhitzter Heizung, Männerschweiß, Fußschweiß, Leberwurststullen für die Frühstückspause verflüchtige sich.
Gemeinsam mit einem Jungarbeiter hasteten sie in Richtung Fabrik. Schnell, atemlos und missmutig. Mit einem mal, sah er Ihn. Zum ersten Mal. Groß, grauschwarzes, zotteliges Fell. Der Kopf gesenkt, die Lefzen schlaff, das Maul nur wenig geöffnet, die Zunge bewegte sich schwach im Rhythmus seines Atems seine Rute gesenkt, schlaff, den nassen Asphalt fast berührend.
Er war der schwarze Hund. Seine Augen blicken zu Ihn hinauf. Es war ein zögerliches ängstliches Aufblicken. So als ob er sagen wollte: „Mein Freund, Du kennst mich doch. Schon lange. Nun kannst Du mich auch sehen. Ich begleite Dich seid langer Zeit. Du konntest mich nur noch nicht erkennen. Jetzt bin ich bei Dir, auch sichtbar, allerdings nur für Dich. Ich verspreche Dir. Ich werde Dich niemals mehr verlassen.“
Es war sonderbar, er erschrak nicht beim Anblick dieses schwarzen Hundes. Später erkannte er weshalb er sich nicht ängstigte. Es war SEIN schwarzer Hund. Da war es wieder dieses Gefühl von:
Etwas nicht zu beschreibendes, etwas drohendes, dunkles, leeres, einsames unsagbares Vernichtung und Endgültigkeit kündendes. Diesmal begleitet von SEINEM schwarzen Hund. Der sollte ihn von nun an nicht mehr verlassen. Niemals mehr.
Sein kleines Glück in der Vervielfältigungsabteilung, dauerte allerdings nur kurz. Kurz nach Weihnachten wurde er versetzt. Zuvor allerdings erhielt jeder Mitarbeiter der Firma ein Weihnachtsgeschenk. Auch er als Praktikant. In der Hoffnung, daß nun alles gut würde nahm er dankend an. Erhielt er doch eine rießige dicke Dauerwurst, aus einer Fleischfabrik. Es war eine jener Großschlachtereien, die ohne Rücksicht auf Tierwohl, massenweise Wurst aus minderwertigem Fleisch herstellen. Geschmacklich jenseits von gut und böse. Sauer wie Essig, versalzen, fettig.
Man versetzte Ihn in die Dreherei. Zunächst konnte er sich darunter nur wenig vorstellen. In einer riesigen Maschinenhalle standen Monstermaschinen, die an Dinosaurier erinnerten. Das waren in der Hauptsache riesig anmutende Fräsmaschinen, immer Bereit und Willens unterschiedlichen metallischen Gegenständen eine ganz bestimmte beabsichtigte Form und Oberfläche zu geben. Die konnte nur gelingen, wenn der Fachmann an der Fräs- oder Bohrmaschine sich genauestens an Vorgaben hielt, ging es hier doch nicht nur um einzehntel oder um einhundertstel, ja sogar um eintausendstel eines Millimeters an Maßhaltigkeit.
Ein Facharbeiter, der besonders genau arbeite, sich oft beklagte, wenn er ein bereits vorgearbeitetes Werkstück erhielt, welches nicht seinen Vorstellungen auf Maßhaltigkeit entsprach, wurde von allen nur noch Mü-michel genannt. Man könnte auch Mikrometermichel sagen. „Ein Mikrometer entspricht 0,001 Millimeter und wird mit dem Symbol µm gekennzeichnet. Oft wird nur die Bezeichnung µ oder my (Aussprache „mü“) verwendet. In der Regel spricht man von einer Folie, wenn die Materialstärke weniger als 1000 my (1 mm) beträgt.“
Diese Welt war ihm vollkommen fremd. Eine Welt in der große Maschinen um tausenstel Millimeter kämpfen, steht’s auf das genaueste überwacht von Facharbeitern, kassenbebrillt in grauen Arbeitskitteln, machten ihm Angst, verfolgten ihn bis in seine Träume. Er selbst, die meisten wußten inzwischen schon, das der Beruf des Ingenieurs für Ihn vollkommen unpassend war, wurde mit gröberen Arbeiten betraut.
Da lagen lange runde Rollen aus Stahl oder Grauguss. Die würden Stangen genannt. Von diesen Stangen wurde 20 bis 30 Zentimetern lange Stücke abgesägt. Das bewerkstelligte eine große Eisensägenmaschine, die zur Kühlung eine milchige Flüssigkeit, Bohröl genannt, benötigte. Deren zischendes Verdampfungsgeräusch, verbunden mit diesem süßlich stumpfen Geruch waberte mal mehr mal weniger über das gesamte Fabrikgelände, setzte sich in der Kleidung und im Schuhwerk fest.
Berichtet wurde von einem Arbeiter, der seine Mittagspause schlafend zu Füßen seiner Fräsmaschine verbracht. Es war ein Lattenrost, der in seinen Zwischenräumen Platz für Spänereste und herumspritzendes Bohröl ließ. Dieser Mann sei, plötzlich schwer erkrankt, in jungen Jahren, an Krebs verstorben. Er hatte nun die Aufgabe jene abgelängte Stangenteile mittig zu durchbohren.
Die geschah in 3 Arbeitsgängen. Zunächst ein kleines Loch ins volle Material bohren. Danach etwas größer, und schließlich noch größer. Das war sein Tagwerk. Diese Scheiben stapelte er sorgsam für die Weiterverwendung, als „Halbzeuge“ für die Weiterverwendung in der Dreherei. Die wiederum drehte daraus Scheiben, die dann silber glänzend ebenfalls weiterverwendet wurden. Diese „Durchbohrerei“ war langweilig, öde, forderte den Verstand keinesfalls, es stellte sich sehr bald ein fataler Automatismus ein, der ihn von dieser stupiden Arbeit, von dieser trostlosen Umgebung, letztlich von sich selbst entfremdete.
Ein kleiner Lichtblick in dieser Ödnis war Werner Unterdemgestüt. An den Wochenenden ein wortgewaltiger evangelikaler Laienprediger, während der Woche ein Arbeiter an der Drehmaschine.

Einer ganz besonderen Drehmaschine. Zum zerkleinern von Fleisch bis hin zu einer breiigen, schleimigen Masse, Fleischwurstbrät genannt, brauchte man ganz besondere riesige Maschinen um diese Fleischwurst in Massen zu produzieren. Man nannte diese Maschinen Cutter. Diese Maschine besaß einen riesigen Teller ähnlich ein Gugelhupf Form. Dort aus Grauguss gegossen, musste sie mit in eine passgenaue Form gebracht werden. Dies Aufgabe oblag Werner mit seine Riesendrehmaschine. Die dafür notwendigen Arbeitsschritte mussten sorgfältig und langsam vollführt werden. Werner tat dies gerne, hatte er doch dabei Zeit sich zum Beispiel mit mir unterhalten zu können. Ein kleines Glück für Ihn.
Zum Ende seines Praktikums erbarmte sich ein gütiger, umsichtiger Arbeiter, der sich der hiesigen Darbistengemeinde zugehörig fühlte. Dieser mit Namen Herbert Weiß, legte eine gutes Wort für Ihn ein und nahm Ihn für den Rest seines Praktikums unter seine Fittiche. Diese guteTat ist unvergessen. Unvergessen als eine Tat der Mitmenschlichkeit gegenüber einem jungen Mann, der zu jener Zeit ohne große Orientierung durch sein Leben schlitterte und Gefahr lief den Halt zu verlieren. Diesem guten Menschen zum Andenken, ist dieser Erzählung auch verfasst worden.

Jene Pudding Schule war weit davon entfernt einem bürgerlich ganzheitliche orientierten Bildungsideal zu folgen. Im Gegenteil. Gelegentlich hatte er den Eindruck, viele im Lehrkörper wussten damit wenig anzufangen, oder wußten nicht was sich hinter einem solchen Bildungsideal verbarg.
Einer sagte, nicht ohne Stolz, einmal,während einer privaten Feier, er habe das letzte Buch in seiner Kindheit gelesen. Winnetou 2. Danach auch während seines Studiums nur die notwendigen vorgegebenen Texte und einschlägige Fachzeitschriften zum Thema Betriebswirtschaft. Das damalige Fächertableau für Metaller in der Pudding Schule: Fachkunde Metall, Werkstoffkunde Metall, Elemente technischer Gebilde. Ein Fach von dem er bis heute nicht verstanden hat warum es da eigentlich ging. Angewandte Mathematik Physik, Chemie ebenso angewandt. Die Fächer Deutsch, Englisch, Religion nur rudimentär angeboten, obwohl wie bereits beschrieben, der Religionslehrer sich größte Mühe gab und dafür nur Höhn und Spott erntete. Das erste Jahr, praxisbegleitender Unterricht.
Das hieß: Samstags, und Montags Unterricht oder das was dafür gehalten wurde. Dienstag bis Freitag Praktikum in einer Firma . Ihm wurde gleich zu Beginn der Schule vom Physik und Werkstkunde Lehrer vorhergesagt, daß er sehr bald den schulischen Offenbarungseid leisten müsse.
Sein Name war Erich Immenhof. Nicht nur äußerlich dem Lehrlingsmeister Adolph Jakobus ähnlich. Sie kannten sich persönlich. Heute wurde man sagen:
Zwei alte weiße Männer. Ungepflegt, starr, eigentlich eher halbgebildet mit deutlichem Hang zu paternalistischen Größenideen.
Das wichtigste und fast einzige Lehrbuch was das Tabellenbuch Metall. Dunkelblauer robuster Paperbackeinband, die Buchseiten rosefarben. Der Inhalt, für ihn kryptisch, Tabellen im Übermaß, Formeln, Zeichnungen. Es roch so wie er es erwartete. Nach bearbeiteten Metall und heißem Bohröl. Ein Geruch der Ihm regelmäßig Übelkeit und Würgereitz bereitete. Die Prophetzeihung Offenbarungseid trat ein. Nicht versetzt. Was nun. Auswandern, Schafhirte werden oder Klasse wiederholen. Er entschied sich schließlich für’s Wiederholen. Zum Glück ohne Praktikum, das galt ja als teilgenommen.
Das schuf Freiräume. Freiräume zum gelegentlich arbeiten als Bauhelfer, Zeit zum wandern, zum Träumen und zum lesen auch außerhalb des Tabellenbuchs Metall, was Ihm nicht erspart blieb. Zeit zum rauchen, zum Bier trinken bei Jakob den klugen Wirt. Er beschloss für sich: Du musst die 2 Jahre bis zum Pudding Abitur schaffen. Danach würde er weitersehen.
Aber wie? Er nahm sich vor sein Hirn zu teilen. Eine Seite zum auswendig lernen des Tabellenbuchs Metall. Die andere Seite zum träumen, rauchen und lesen. Er versucht sich daran und merkte bald, es geht, zwar sehr schwer aber es geht, es muß gehen. Die Tabellenbuchseite quälte sich. Auswendig lernen ohne Sinn und Verstand, ohne Zusammenhänge erkennen wollend. Bis zur nächsten Klassenarbeit, dann schnell alles vergessen und bis zur nächsten Kassenarbeit wieder auswendig lernen und das über 2 Schuljahre.
Der anderen Hirnhälfte ging es besser. Sie durfte träumen und vor allem sie durfte auch außerhalb des Tabellenbuchs Metall lesen. Dort tat sich für Ihn eine kaum gekannte neue Welt auf. Er begann mit den Simmel Romanen. Bekam Geschmack und landete sehr bald Heinrich Böll Franz Joseph Degenhardt mit seinen Bankenliedern und Günther Wallraff. Recht bald dann auch bei Günther Grass mit der Blechtrommel, dessen Schreibstil Ihn zunächst deutlich überforderte.
Für das Thema Politik: Der SPIEGEL, jeden Montag mit dem Fahrrad oder mit dem Bus zum nächsten Kiosk, immer egal was passierte. Ja, auch Lexika hatten es Ihm angetan. Diese kurze klare Sprache tat Ihm gut. Sein Favorit zu jener Zeit: Das kleine Lexikon der Erziehungswissenschaften erschienen bei Rowolt. Blauer Einband, kleine Schrift, schlechtes Papier. Dafür roch es herrlich. Es roch nach mehr, nach der großen weiten Welt des Wissens und der Wissenschaft. Nach der Freiheit der Gedanken, nach Offenheit, Liberalität im Denken und Handeln. Nach Toleranz und Menschenfreundlichkeit. Es duftete nach Humanismus. Er laß es einmal zweimal dreimal, könnte den Inhalt bald fast auswendig.
So überstand er diese Zeit, schaffte das Pudding Abitur recht leidlich.
Zwei Jahre später, hatte er Glück und lernte die Liebe seines Lebens kennen.
Ein Gedanke zu “Pudding Abitur”