Ein Neujahrsgruß

Ein Neujahrsgruß: „Der Weg, der gemeinsame Weg“

Die Wegmethapher

„Auch von mir ein frohes neues Jahr! Ich bin gespannt auf unseren gemeinsamen Weg in und für … .“

Die Metapher vom gemeinsamen Weg als Neujahrsgruß verwendet.
Sehr interessant. Sehr inspirierend.
Habe nachgedacht, nach Quellen gesucht und bin immer neugieriger geworden.
Hier ein Zwischenergebnis:

Bedeutungen:
[1] um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, haben auch die Vorgehensweise, die man dafür verwendet, und die Anstrengung, die man dafür aufbringt, bereits ihren Wert, nicht nur das eigentliche Erreichen des Zieles selbst; das Unterwegssein ist mindestens so wichtig wie das Ankommen, der Versuch ist mindestens so lehrreich wie das Ergebnis

Herkunft:
Die Herkunft dieser sprichwörtlich gewordenen Lebensweisheit ist ungeklärt.[1] Häufig wird sie dem chinesischen Philosophen Konfuzius zugeschrieben.[1]

Beispiele:
[1] „Es ist das Niemandsland zwischen dem Aufbruch und dem Unterwegssein. Wenn es bei alten Philosophen heißt, der Weg sei das Ziel, so wird der Weg, auf dem sich einer befindet, doch dadurch überhaupt nicht besser als ein Ziel, als jedes Ziel, das in seinem Wert ja durch die philosophische Bemerkung hatte herabgesetzt werden sollen.“[2]
[1] „Immer schon war der Weg das Ziel, die Bewegung der Inhalt.“[3]
[1] „Heutige Nostalgiezüge mögen bisweilen nicht ganz authentisch sein – aber sie verströmen jenes Flair, das den Mythos ‚Orient-Express‘ erst schuf: Denn hier ist der Weg das Ziel, die Reise selbst der Zweck.“[4]
[1] «Der Weg sei das Ziel. Und der sei mit Irrungen und Rückfällen gepflastert.»[5]

[1] „Was gelegentlich aus den Augen gerät: Während die Eltern manchmal dazu neigen, die Reisestrapazen möglichst rasch abzuhaken, ist für das Kind bereits der Weg das Ziel: zusammen sein und Spaß haben, egal wo, auch im Bahnabteil.“[6]
[1] „Und selbst, wenn er es nicht geschafft hätte, wäre es eine Erfahrung gewesen. Dann wäre eben der Weg das Ziel gewesen.“[7]

Diese pädagogische Deutung der „Wegmethaper“ öffnet wiederum weitere Aspekte der Erziehungswissenschaften mithin auch für den Bereich der Erwachsenenbildung.

Sicherlich auch für die Bereiche Gesprächsführung, Beratung, Therapie, Psychotherapie.

Theologische Deutungen sind davon selbstredend auch nicht ausgenommen:
Der Exodus, eine einzige, vielschichtige, Weggeschichte.
Die Texte um die babylonische Gefangenschaft des Volkes Israel.
Die Weihnachtsgeschichte.
Die Passionsgeschichte. Der Weg Jesu nach Jerusalem.
Und vieles mehr.

Für 2023 wünsche ich Euch liebe Leser, Gesundheit und Frieden. Bleiben Sie behütet.

Sündenfall der Christen: Antijudaismus – Antisemitismus

Zusammengestellt aus:
Der Spiegel Geschichte 3/21

  • In der Bibel und bei Luther.
  • Warum die Judenfeindlichkeit im Christentum tief verwurzelt ist.
  • Über muslimischen Antisemitismus wird viel diskutiert, über christlichen kaum.

Dabei war die Abwertung der Juden grundlegend für den Glauben an Jesus. Im Lauf der Jahrhunderte kamen immer mehr Vorurteile und Mythen hinzu.

Abgrenzung:

In oder an vielen Kirchen, wie hier am Straßburger Münster, stehen sich Ecclesia und Synagoge als allegorische Frauenfiguren gegenüber.

Abgrenzung:

Unter allen »Nationen der Erde« gebe es »ein bestimmtes heimtückisches Volk«, das »sich gegen alle Menschen ohne Ausnahme feindselig verhält, nach absonderlichen und befremdlichen Gesetzen lebt … und die schlimmsten Verbrechen begeht«.

Dieses Volk müsse »samt seinen Frauen und Kindern ohne Gnade und Erbarmen durch das Schwert ihrer Feinde radikal ausgerottet werden«.

Diese Sätze lesen wir nicht etwa in Erlassen christlicher Könige oder in der NS-Propaganda, sondern in der Bibel, im Buch Esther des Alten Testaments, genauer in dessen griechischer Übersetzung. Der Erlass stammt vom persischen Großkönig Ahasveros.

Das Buch Esther griff den Befehl um 300 v. Chr. wieder auf. Es erzählt die Geschichte vom versuchten Vernichtungsfeldzug des Großkönigs gegen die Juden und von dessen jüdischer Gemahlin Esther, die ihr Volk rettete. Bis heute feiern die Juden alljährlich im Purimfest das Misslingen der persischen Pläne.

Mit den Worten dieses Edikts ist erstmals historisch greifbar der Ton angeschlagen, der die Geschichte des Antisemitismus bis heute bestimmt:

Die Juden werden als ein Volk mit absonderlichen Sitten und Gebräuchen dargestellt, das sich durch seinen Menschenhass von allen anderen Völkern unterscheidet. Und, schlimmer noch: Es sei nur zu besiegen, wenn es mit Stumpf und Stiel ausgerottet werde.

Die Literatur der vorchristlichen Antike ist voll von Geschichten, die sich aus diesem Grundmotiv ableiten:

Autoren wie Apion oder Tacitus behaupteten, die Juden seien im »Exodus« nicht freiwillig aus Ägypten ausgezogen, sondern sie seien als die schlimmsten Feinde der zivilisierten Menschheit daraus vertrieben worden.

In ihrem Tempel verehrten sie nicht einen bildlosen Gott, sondern einen Esel; sie mästeten dort jährlich einen Griechen, um ihn anschließend zu schlachten und seine Eingeweide zu essen; man könne ihnen ihre absonderlichen Bräuche nur austreiben, indem man eine fette Sau in ihrem Tempel opfere, deren Blut dort ausgieße und die Priester zwinge, das gekochte Fleisch zu essen. Ihr Glaube an nur einen Gott sei lächerlich, ihre Beschneidung eine Perversion, ihr wöchentlicher Ruhetag, der Sabbat, sei Ausdruck ihrer Faulheit und ihre Abneigung gegen Schweinefleisch ein Aberglaube.

Genau dieses Bündel an Vorurteilen, die wir heute antisemitisch nennen würden, führte im 1. Jahrhundert n. Chr. im hellenistischen Alexandria zum ersten Pogrom in der Geschichte, bei dem ein Mob die jüdischen Einwohner der Stadt grausam quälte und tötete – mit allen furchtbaren Einzelheiten, wie wir sie aus den mittelalterlichen und neuzeitlichen Pogromen kennen.

Die Anhänger Jesu wurden »neue Juden«
Nicht lange vor dem Pogrom in Alexandria reiste ein Jude namens Saul von Jerusalem nach Damaskus. In der dortigen Synagoge wollte er nach Anhängern der neuen jüdischen Lehre des Jesus von Nazareth fahnden und diese vor Gericht bringen. Kurz bevor er Damaskus erreichte, soll er von einem strahlenden Licht geblendet worden sein und eine Stimme gehört haben. Diese soll gesagt haben: »Saul, Saul, warum verfolgst du mich?«, und habe sich ihm dann als »Jesus, den du verfolgst« offenbart.

Durch dieses Erlebnis wandelte Saulus (so die lateinische Form seines Namens) sich zum Paulus, vom jüdischen Eiferer zum Völkerapostel. Von Nichtjuden, die sich als Anhänger Jesu dem Judentum anschließen wollten, verlangte Paulus nun weder die Beschneidung noch die Befolgung der jüdischen Gesetze (insbesondere nicht der Speisegebote) in allen Einzelheiten – diese durften, zusammen mit den jüdischen Anhängern Jesu, »neue Juden« werden (die sich später Christen nennen sollten), ohne formell zum Judentum überzutreten.

Abwertung:

Die Synagoge wird immer mit verbundenen Augen dargestellt, als blind gegenüber der angeblichen Wahrheit deswegen Christentums. Die Symbole ihrer Macht – Lanze, Fahne oder Krone – sind gebrochen oder liegen am Boden, die Gesetzestafeln entgleiten ihr.
Damit setzte der wiedergeborene Paulus eine Bewegung in Gang, die bald großen Zulauf unter »Heiden« (Griechen und Römern) finden sollte. Sie wuchs weit über das hinaus, was der jüdische Wanderprediger und Prophet Jesus begonnen hatte: Paulus hob die Trennung zwischen Juden und Nichtjuden auf. »Es gibt nicht mehr Juden und Griechen«, schreibt er im Galaterbrief, »nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich, denn ihr seid alle einer in Jesus Christus.«

Dies war eine für die antike Weltordnung unerhörte Botschaft: Für die, die sich zu Jesus Christus bekannten, galten die alten Unterschiede nicht mehr, weder die zwischen Juden und Nichtjuden noch die zwischen Sklaven und Freien oder zwischen Männern und Frauen.

Leider war diese frohe Botschaft zu optimistisch, denn sie ignorierte ein Problem: Es gab nicht wenige Juden, die sich der Botschaft verweigerten und darauf beharrten, dass Jude nur werden könne, der nach den traditionellen jüdischen Regeln zum Judentum übertritt. Paulus, der annahm, dass das Ende der Zeit ohnehin bald kommen werde, verschärfte dieses Problem noch dadurch, dass er die alten Juden (die, die sich nicht zu Jesus Christus bekennen wollten) und die neuen Juden (die Anhänger Jesu) scharf voneinander absetzte.

Er tat dies durch den Gegensatz von Fleisch und Geist oder auch den von Gesetz/Buchstabe und Glaube: Alles, was mit Fleisch, Gesetz und Buchstabe in Verbindung gebracht wurde, war bei ihm negativ besetzt, und alles, was unter Geist, Glaube oder auch Gnade lief, war positiv. Die alten Juden standen für Ersteres, die neuen Juden für Letzteres: »Jesus Christus hat uns freigekauft von dem Fluch des Gesetzes … damit den Völkern durch ihn der Segen Abrahams zuteil wird durch Jesus Christus und wir so durch den Glauben den verheißenen Geist empfangen.«

Die Evangelien bauten die Judenfeindschaft aus.
Damit hatte Paulus einen zentralen und unauflösbaren Gegensatz zwischen den neuen jesusgläubigen und den alten Juden etabliert: Nun war im Christentum der Samen gelegt für die Judenfeindschaft mit all den Konsequenzen, die wir später Antisemitismus nennen sollten.

Die Evangelien fügten dem später weitere Elemente hinzu. Das Matthäusevangelium überbot sich in immer schärferen Attacken auf die jüdische Gruppe der Pharisäer, der Paulus selbst angehört hatte. Und die Passionsgeschichte in den Evangelien wies dem entfesselten jüdischen Mob, stellvertretend für das gesamte jüdische Volk, die Schuld an der Kreuzigung Jesu zu. Damit war der tödliche Vorwurf des Gottesmordes in die Welt gesetzt.

Diffamierung:

Wie in Wittenberg findet sich an etwa 30 Kirchen in Deutschland bis heute die Darstellung der »Judensau«.

Die „Judensau“

Das im Judentum unreine Schwein wird mit der jüdischen Religionspraxis in Verbindung gebracht, die Figur sollte Ekel erzeugen. Die Nationalsozialisten griffen das mittelalterliche Bildmotiv für ihre antisemitische Hetze auf. Der Umgang mit den Darstellungen ist umstritten: Einige fordern die Entfernung, andere ergänzende Erklärungen zum antisemitischen Gehalt. Entfernt wurde bislang keine.

Diffamierung:

Wohlmeinende christliche Theologen versuchen heute, das alles als innerjüdische Streitigkeiten zu entschärfen, die man in ihrer Zuspitzung nicht wörtlich nehmen und schon gar nicht auf das jüdische Volk als Ganzes beziehen dürfe. Aber Paulus‘ Gegensatz zwischen Fleisch und Geist als fundamentalen Gegensatz zwischen Juden und Christen können sie nicht wegdiskutieren.

Wollte man ihn auflösen, wäre der Kern des paulinischen Christentums zerstört. Und auch die Hassausbrüche des Verfassers des Johannesevangeliums, für den alle Juden die Söhne Satans waren, lassen sich nicht nur als zeitgebundene Entgleisungen abtun. Sie sind bis heute im kulturellen Gedächtnis der christlich geprägten Gesellschaften verankert.

Je mehr die frühe Kirche die Göttlichkeit Jesu dogmatisch verfestigte, desto größer wurde der Abstand zum Judentum. Das Konzil von Nizäa legte 325 n. Chr. die mit dem Vater wesensgleiche Göttlichkeit des Sohnes (und dann auch des Heiligen Geistes) verbindlich fest. Dies war für Juden unannehmbar.

Was schrieb der Römer Tacitus über Juden?
Der römische Konsul und Historiker CorneliusTacitus (um 55 bis um 115 n. Chr.) fasste die Judenfeindlichkeit der Antike in einem Exkurs über die Juden in seinem großen Geschichtswerk »Historiae« in gewisser Weise zusammen. So folgen Juden seiner Meinung nach keinem Glauben, sondern einem abstoßenden »Aberglauben« (super stitio), sie seien ein »abscheulicher Volksstamm« (taeterrima gens) und hätten für alle anderen Menschen nur »feindseligen Hass« (hostile odium) übrig. Sein Urteil war vernichtend: Die gesamte jüdische Lebensart sei »absurd und verächtlich« (absurduss ordidusque). Schon Römer waren von der paranoiden Angst getrieben, Juden könnten ihre Gesellschaft unterwandern.

Alle christlichen Richtungen, die sich diesem offiziellen Glaubensbekenntnis nicht anschließen wollten, wurden als Häresien bekämpft. Am längsten und erfolgreichsten leisteten die Arianer Widerstand. Die Anhänger dieser Richtung verstanden Jesus als ein Geschöpf des göttlichen Vaters und damit als diesem untergeordnet. Für diese Vorstellung gab es durchaus auch Ansätze im Judentum, und so ist es nicht verwunderlich, dass die arianische Häresie ausdrücklich auch als jüdisch gebrandmarkt wurde.

Indem die sich nun als orthodox – rechtgläubig – verstehende Kirche die angebliche Häresie der Arianer verurteilte und verfolgte, versuchte sie also zugleich, das »Judentum« aus dem entstehenden »Christentum« auszuscheiden. Die Trennung der Orthodoxie von den Arianern gelang erst nach vielen Kämpfen. Der im paulinischen Christentum verankerte Gegensatz zwischen Judentum und Christentum jedoch blieb bis heute erhalten – mit schrecklichen Konsequenzen für das Judentum.

Juden durften keine christlichen Frauen heiraten.
Die prekäre Lage für das Judentum verschärfte sich, als das von Häresien gesäuberte Christentum zur Reichskirche und dann zur römischen Staatsreligion wurde (ab 380). Damit konnte der christliche Staat sein verzerrtes Verständnis des Judentums auch politisch durchsetzen. Das schlug sich in einer dezidiert antijüdischen Gesetzgebung nieder: Christen durften nicht mehr zum Judentum übertreten; Juden durften keine christlichen Sklaven halten; jüdische Sklaven, die zum Christentum übertraten, mussten freigelassen werden; Juden durften keine christlichen Frauen heiraten; die häufige Zerstörung von Synagogen durch christliche Mobs wurde auf Druck der Kirche oft nachträglich sanktioniert; der Neubau von Synagogen wurde verboten – und das waren längst nicht alle Regelungen.

Dämonisierung:

Ein Jude im Griff des Teufels – dieses Motiv findet sich am Portal des Wetzlarer Doms. Solche antisemitischen Darstellungen im öffentlichen Raum sehen viele Experten als problematisch an, wenn sie ohne Erklärung bleiben.

Versuchten staatliche Autoritäten bis hin zum Kaiser, den Juden wenigstens rudimentäre Rechtssicherheit zu gewähren, wurden sie von den übermächtigen Bischöfen und Kirchenlehrern in ihre Schranken gewiesen.

Das sogenannte christliche Abendland war nicht nur christlich und jüdisch, sondern bis zu einem gewissen Grad auch muslimisch. Der Siegeszug des Islam nach dem Tode Muhammads im Jahr 632 brachte sehr schnell den Vorderen Orient und damit auch die Wiege des Christentums und des Judentums unter islamische Kontrolle – mit weitreichenden Folgen für das christliche Europa. Der Koran, die heilige Schrift des Islam, ist tief von der Auseinandersetzung mit dem Judentum und dem Christentum geprägt.

Dabei wird heute oft übersehen, dass die meisten Aussagen des Korans zu Juden und Christen sich an beide richten. Der Islam verstand sich eben nicht als eine neue Religion, sondern als die eigentliche alte Religion Abrahams, die noch vor Judentum und Christentum entstanden sei. Juden und Christen haben demnach ihren ursprünglichen Auftrag missverstanden und ihre Bibel verfälscht, der Islam rückt dies nun wieder zurecht. Trotzdem sind beide (»Leute des Buches/der Schrift«) und verdienen deswegen besonderen Schutz. Als solche sind sie »Schutzbefohlene«, das heißt, sie stehen unter dem besonderen Schutz der islamischen Autoritäten.

Die Idee einer Vernichtung der Juden liegt dem traditionellen Islam fern
Zwar war die islamische Judengesetzgebung strikt auf Abgrenzung bedacht. Aber anders als die christliche Gesetzgebung in der Spätantike und besonders im Mittelalter bot sie den Juden immer eine grundlegende und einklagbare Rechtssicherheit. Das alte und bis heute fortlebende Klischee, dass die Juden keine Menschen seien, sondern Tiere, liegt dem traditionellen Islam fern. Und ebenso die tödliche Konsequenz, dass sie deswegen verfolgt und vernichtet werden müssten.

Im christlichen Mittelalter hingegen war das Verhältnis von Christen und Juden von einer Ambivalenz zwischen Schutz und Unterdrückung, Ausbeutung und Verfolgung geprägt. Kirchliche Dekrete setzten die Judengesetzgebung der Spätantike fort. Staatliche und kirchliche Gewalt, Kaiser und Papst, konkurrierten nun um das Vorrecht, die Juden beschützen und ausbeuten zu dürfen.

Üble Nachrede:

In Kirchen finden sich wie z.b. im Freiburger Münster – Darstellungen von Juden als angebliche »Gottesmörder«.

Ein besonderer Stein des Anstoßes war der Geldverleih mit Zinsen. Dieser hatte in der über regionale Grenzen hinauswachsenden mittelalterlichen Wirtschaft eine zentrale Funktion, war Christen durch das kanonische Recht jedoch verboten. Die Juden hatten ursprünglich eine wichtige Rolle im internationalen Handel gespielt, doch daraus wurden sie nach und nach verdrängt. Auf der anderen Seite war ihnen der Zugang zu den Zünften, den ständischen Körperschaften der Handwerker, versagt. Somit blieb ihnen nur noch das Geldgeschäft, also die Vergabe von Darlehen gegen Zinsen. Dies führte immer wieder zu Spannungen, die sich schnell in Verfolgungen und Pogromen entluden.

Verschärft wurde dieses strukturelle Problem dadurch, dass die christlichen Herrscher von den Geldgeschäften der Juden profitierten. In ihrer Konkurrenz mit dem Autoritätsanspruch des Papstes entwickelten die Kaiser die Idee von den Juden als dem physischen Besitz des Herrschers: Alle Juden samt ihren Besitztümern gehörten dem Herrscher. Die deutschen Kaiser erfanden dafür das lukrative Instrument der »Kammerknechtschaft«: Die Juden waren mit ihrer gesamten beweglichen und unbeweglichen Habe Subjekte der kaiserlichen Kammer, und das hieß im Klartext, der Staatskasse.

Antijüdische Ausschreitungen waren das ideale Ventil für Wut auf die Obrigkeiten
Dies bedeutete, dass der Herrscher nach Belieben an den Besitztümern der Juden partizipieren konnte. So sicherte er sich seinen Anteil an ihren Geschäftsgewinnen. Und wenn ihm das nicht reichte, konfiszierte er das gesamte Vermögen und vertrieb die Juden aus seinem Herrschaftsgebiet – oder holte sie auch wieder zurück, wenn die Wirtschaft ruiniert war.

Das ganze christliche Mittelalter war so ein ständiges Hin und Her von Schutz und Ausbeutung, Vertreibung und Verfolgung. Das ambivalente Verhältnis der Juden zu ihrem weltlichen und kirchlichen Herrscher machte diese zu einer leichten Beute für ihre christlichen Mitbürger. Da sie mit der Obrigkeit in Verbindung gebracht wurden, waren antijüdische Ausschreitungen das ideale Ventil nicht nur für die Wut über wirtschaftliche und gesellschaftliche Missstände. Auch bei Schicksalsschlägen wie Missernten, Krankheiten und Seuchen wurden die Juden zum stets verfügbaren Sündenbock.

Ermordung der Juden als gottgefällig?
Zugleich wirkten die Vorurteile und Klischees weiter, die sich aus der christlichen Religion speisten und im Vorwurf des Gottesmordes ihren Höhepunkt fanden. So kam es immer wieder zu Wellen von Verfolgungen und Massakern, Gewaltexzessen, wie sie bis dahin undenkbar waren. Einer der folgenschwersten Auslöser war der Erste Kreuzzug in den Jahren 1096 bis 1099, zu dem Papst Urban II. die Christenheit aufrief.

Der christliche Mob in den Ländern, in denen sich das Kreuzzugsheer sammelte, ließ sich von fanatischen Predigern überzeugen, dass die Juden im eigenen Land mindestens so schlimme Gegner seien wie die Muslime im Nahen Osten. Ihre Vertreibung und Ermordung musste also Gott ebenso wohlgefällig sein wie die Vertreibung der Muslime aus dem Heiligen Land.

Darstellung von Juden bei der Peinigung christlicher Märtyrer (hier im Freiburger Münster). Solche detailreichen Bilder in Kirchen waren im Mittelalter höchst einflussreich.

Der Zug des Kreuzfahrerheeres von Frankreich durch Mitteleuropa nach Osten wurde dadurch zu einem Massaker, in dem große Teile der jüdischen Gemeinden Europas untergingen. Die Juden, vor die Wahl gestellt, zum Christentum überzutreten oder sich abschlachten zu lassen, entschieden sich meist für Letzteres – und nahmen oft auch ihre Frauen und Kinder mit in den Tod.

Die markantesten und extremsten Formen des mittelalterlichen Antisemitismus haben ihren Ursprung in der Religion – und sie alle wirken bis heute weiter. Für die Legende vom Ritualmord erfand man ein perverses jüdisches Ritual, wonach die Juden in der Karwoche angeblich christliche Kinder entführen, diese martern und ihnen ihr Blut abzapfen, um so die Kreuzigung Jesu nachzustellen; manchmal sei dieses Blut dann in die Mazzot (ungesäuerten Brote) des Pessachfestes eingebacken worden. Diese Legende breitete sich in ganz Europa aus, beginnend 1144 in Norwich, England. Die Legenden wurden an konkrete Kriminalfälle geknüpft, was dann zu Massakern gegen die Juden der jeweiligen Gemeinden führte. Versuche der staatlichen Gewalt, diesen Irrsinn mit rationalen Argumenten zu stoppen, schlugen in der Regel fehl.

Boshafte Pervertierung des Judentums

Als die Lehre von der »Wesensverwandlung« (Transsubstantiation) von Brot und Wein in das Fleisch und Blut Jesu Christi 1215 auf dem Vierten Laterankonzil festgeschrieben wurde, entstand die Anklage des Hostienfrevels: Die Juden seien darauf aus, geweihte Hostien zu rauben, um diese zu durchbohren, zum Bluten zu bringen und den Leib Christi so immer wieder neu zu martern.

Besonders wirksam im Arsenal der antisemitischen Waffen wurde das Motiv der »Judensau«. Solche Skulpturen einer Sau, an deren Zitzen junge Juden wie Ferkel saugen, finden sich das ganze Mittelalter hindurch an den Außenwänden oder Innensäulen zahlreicher Kirchen – und hängen meist bis heute dort. Oft kniet hinter der Sau ein Jude, der ihren Schwanz hochhebt und ihr in den After schaut, daran leckt oder die Exkremente aufsammelt. Hier verbinden sich unterschwellige sexuelle Motive mit religiösen Elementen, die daran anknüpfen, dass im Judentum das Schwein ein unreines Tier ist. Eine boshaftere Pervertierung des Judentums ist kaum vorstellbar.

Ein ständiger Dorn im Auge der Christen war schon seit der Spätantike der Talmud, das auf der Hebräischen Bibel basierende Handbuch der jüdischen Religionspraxis und ihrer theologischen Deutung. Der Talmud ist aufgrund seiner sprachlichen und inhaltlichen Besonderheiten nur schwer zugänglich; für Christen war er der Inbegriff der angeblichen jüdischen Gesetzesreligion als der Antithese zum Christentum.

Schmähung:

Auch das Stereotyp vom »jüdischen Wucherer« wurde im Mittelalter über Darstellungen an Kirchen verbreitet – etwa auf einem Vordach der Kirche im elsässischen Rosheim.

Der Wucherer

Außerdem glaubten sie, dass er voll von jüdischer Polemik gegen die Christen sei, und sammelten, mithilfe jüdischer Konvertiten, alle – selten echten – antichristlichen Aussagen. Der Pariser Talmudverbrennung von 1242 fiel der allergrößte Teil der europäischen Talmudhandschriften zum Opfer – die staatlichen und kirchlichen Autoritäten hofften, den Kern der jüdischen Religion damit ein für alle Mal zu vernichten.

Der erste systematische Versuch der physischen Vernichtung der europäischen Juden folgte ungefähr 100 Jahre später mit der Pestwelle der Jahre 1348 bis 1353, der mehr als ein Drittel der Bevölkerung Europas zum Opfer fiel. Da man sich die Ursache dieser mysteriösen Krankheit nicht erklären konnte, suchte und fand man die Schuldigen in den Juden: Sie hätten in einer groß angelegten Aktion aus Hass gegen die Christen die Brunnen vergiftet und damit die Seuche ausgelöst.

Diese Anschuldigung breitete sich zusammen mit der Pest rasant in Zentraleuropa aus und führte zu einer Massenhysterie mit zahlreichen Verfolgungswellen und Massenmorden. Mit dem Ende der Pestpogrome waren alle bedeutenden jüdischen Gemeinden auf dem Gebiet des späteren Deutschland ausgelöscht, ein Einschnitt, von dem die mittelalterlichen Juden sich nie wieder erholten.

Martin Luther griff alles Jüdische hemmungslos an.
Der Höhepunkt des mittelalterlichen Judenhasses war keinem Geringeren vorbehalten als dem Reformator Martin Luther. Sein Antisemitismus war deswegen besonders virulent, weil er einerseits fest in den Vorurteilen des Mittelalters verankert war, aber andererseits durch die dank des Buchdrucks nun flächendeckende Propaganda bis weit in die Neuzeit hinein wirkte.

Luthers antisemitische Hasstiraden wurden immer heftiger, je mehr er einsehen musste, dass die Juden sich auch seinem erneuerten, »protestantischen« Christentum nicht öffnen wollten. Sein Versuch, die Papstkirche mit dem »verknöcherten Judentum« gleichzusetzen und den Juden sein extrem paulinisches Christentum als das eigentliche Judentum schmackhaft zu machen, scheiterte auf der ganzen Linie: Die Juden gingen nicht auf seine Deutung ein, dass auch ihre Bibel auf Jesus Christus und die von ihm vermittelte Gnade ausgerichtet sein sollte, dass ihr »irregeleitetes« Schriftverständnis Verderben und Tod bringe und nur das Christentum Erlösung und Leben.

Niedertracht:

Im Chorgestühl des Erfurter Doms sieht man diese Szene von einem Zweikampf zwischen Christentum und Judentum. Das Judentum wird hier judenfeindlich wieder mit einem Schwein in Verbindung gebracht und lächerlich gemacht.

Wenige Jahre vor seinem Tod veröffentlichte Luther seine Schrift »Von den Juden und ihren Lügen« (1543). Sie ist ein hemmungsloser, wütender und rauschhafter Angriff auf alles Jüdische. Er verkündet die mittelalterlichen Stereotype nun als Fakten und leitet daraus praktische Forderungen ab: Zerstörung ihrer Synagogen und Wohnhäuser, Konfiskation ihrer Schriften, Verbot ihrer Gottesdienste, Verbot des Geldverleihs, Einzug ihres Vermögens. Wenn das alles nicht helfe, müssten die Juden aus den deutschen Landen vertrieben werden. Man hat diese Maßnahmen nicht von ungefähr als Luthers Versuch einer »Endlösung der Judenfrage« bezeichnet.

Ein neues Zeitalter, auch für die Juden, brach erst lange nach Luther an – mit der Aufklärung und der Französischen Revolution, die Juden zunächst in Frankreich erstmals zu gleichberechtigten Staatsbürgern machte. Allerdings waren die Errungenschaften dieser neuen Zeit durchaus zweischneidig. Denn die Juden waren und sind keine Religion wie das Christentum mit seiner Forderung des unbedingten Glaubens an etwas; sie definieren sich nicht durch ihren Glauben, sondern durch ihr tägliches Handeln und Tun. Zugleich verstehen sie sich aber auch seit der Antike als eine ethnische Stammes- und Schicksalsgemeinschaft, der nur angehören kann, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde oder nach den traditionellen Regeln konvertiert.

Gettoisierung:

Seit der Antike lebten Juden häufig konzentriert in bestimmten Stadtvierteln. Das erste urkundlich erwähnte jüdische Viertel mit Mauern im Heiligen Römischen Reich bestand seit 1084 in der Stadt Speyer, eine Mischung aus Schutz und Zwang. Die Bezeichnung Getto wiederum stammt von der Insel Ghetto in Venedig. 1516 beschloss die Regierung der Republik Venedig, die jüdische Bevölkerung dort zusammenzufassen. Ein bekanntes Beispiel für ein deutsches Getto ist die Frankfurter Judengasse, die von 1462 bis 1796 bestand. Während des Zweiten Weltkriegs richteten die Nationalsozialisten rund 1150 jüdische Gettos in Osteuropa ein, in denen sie Juden zusammenpferchten, um sie auszubeuten, zu vernichten und die noch Lebenden anschließend in den Tod zu schicken.

Die Philosophen der Aufklärung konnten diese feinen Unterschiede nicht nachvollziehen.

Ihre viel gerühmte Toleranz galt am wenigsten den Juden. Für sie waren die Juden, schlimmer noch als die Christen, in ihren religiösen Vorurteilen befangen und konnten nur dann wahre Menschen werden, wenn sie sich von den Fesseln ihrer religiösen Irrungen befreiten. Ihr Anspruch, eine Stammesgemeinschaft zu sein, widersprach auch allen Idealen der Französischen Revolution, wie dies der Comte de Clermont-Tonnerre im Dezember 1789 in der Nationalversammlung auf den Punkt brachte: »Den Juden als Nation ist alles zu verweigern, den Juden als Menschen ist alles zu gewähren.« Das bedeutet: Nur der individuelle Jude, der sich auf seine persönliche Religionsausübung beschränkt und auf die Besonderheiten einer Stammesgemeinschaft verzichtet, konnte Bürger des neuen französischen Staates werden.

Grundlagen:

»Je undurchschaubarer die Welt wird, umso aggressiver wird die antijüdische Hetze«
In den deutschen Landen war die Lage für die Juden noch sehr viel schwieriger als im strikt säkular ausgerichteten Frankreich. Die deutschen Staaten verstanden sich ganz dezidiert als christlich und seit der Gründung des Norddeutschen Bundes von 1866, dem Vorläufer des Kaiserreichs, noch dazu als dominant protestantisch-christlich im lutherischen Sinne. In einem solchen Staat war für ein Judentum, das nicht im Christentum aufgehen und sich auch nicht auf seine individuelle Religionsausübung begrenzen lassen wollte, kein Platz.

Es ist genau diese Spannung zwischen christlichem Nationalstaat und jüdischem Verständnis von Religion, die alle Versuche der Emanzipation der Juden und ihrer bürgerlichen Gleichberechtigung immer wieder zunichtemachte. Unter dem wachsenden Einfluss der rassistischen Form des Antisemitismus führte diese Idee eines christlichen Nationalstaats schließlich zur durch und durch antisemitisch geprägten Gesellschaft des Kaiserreichs und der Weimarer Republik.“

Zum Autor:

Peter Schäfer ist einer der führenden Experten für die Geschichte der jüdischen Religion. Von 2014 bis 2019 leitete er das jüdische Museum in Berlin.

Der Schwur von Buchenwald

Kameraden!

Wir Buchenwalder Antifaschisten sind heute angetreten zu Ehren der in Buchenwald und seinen Außenkommandos von der Nazi-Bestie und ihren Helfershelfern ermordeten 51 000 Gefangenen!

51 000 erschossen, gehenkt, zertrampelt, erschlagen, erstickt, ersäuft, verhungert, vergiftet, abgespritzt.
51 000 Väter-Brüder-Söhne starben einen qualvollen Tod, weil sie Kämpfer gegen das faschistische Mordregime waren.
51 000 Mütter und Frauen und Hunderttausende Kinder klagen an!
Wir lebend Gebliebenen, wir Zeugen der nazistischen Bestialität, sahen in ohnmächtiger Wut unsere Kameraden fallen.
Wenn uns eins am Leben hielt, dann war es der Gedanke: Es kommt der Tag der Rache!

Heute sind wir frei!
Wir danken den verbündeten Armeen der Amerikaner, Engländer, Sowjets und allen Freiheitsarmeen, die uns und der gesamten Welt den Frieden und das Leben erkämpfen.
Wir gedenken an dieser Stelle des großen Freundes der Antifaschisten aller Länder, eines Organisatoren und Initiatoren des Kampfes um eine neue, demokratische, friedliche Welt, F. D. Roosevelt. Ehre seinem Andenken!
Wir Buchenwalder, Russen, Franzosen, Polen, Tschechen, Slowaken und Deutsche, Spanier, Italiener und Österreicher, Belgier und Holländer, Engländer, Luxemburger, Rumänen, Jugoslawen und Ungarn, kämpften gemeinsam gegen die SS, gegen die nazistischen Verbrecher, für unsere eigene Befreiung.
Uns beseelte eine Idee: Unsere Sache ist gerecht – Der Sieg muß unser sein!
Wir führten in vielen Sprachen den gleichen harten, erbarmungslosen, opferreichen Kampf, und dieser Kampf ist noch nicht zu Ende. Noch wehen Hitlerfahnen! Noch leben die Mörder unserer Kameraden! Noch laufen unsere sadistischen Peiniger frei herum!
Wir schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Appellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens:
Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht!
Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.

Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig. Zum Zeichen Eurer Bereitschaft für diesen Kampf erhebt die Hand zum Schwur und sprecht mir nach:
,WIR SCHWÖREN! ,

Buchenwald/Weimar 19.April 1945

Uwe Schummer – Weisheiten des Talmud

Im Talmud, dem Buch, das den jüdischen Glauben mit dem konkreten Leben verbindet, ist es wunderbar formuliert:

“Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte. Achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen. Achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten. Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter. Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein und unser Schicksal“

Zitat: Uwe Schummer in Anlehnung an einen Text aus dem Talmud

Texte aus der chassidischen Weisheitslehre:

Nähe:

Ein Schüler fragte den Baalschem: „Wie geht das zu, daß einer, der an Gott hangt und sich ihm nah weiß, zuweilen eine Unterbrechung und Entfernung erfährt?“ Der Baalschem erklärte: „Wenn ein Vater seinen kleinen Sohn will gehen lernen, stellt er ihn erst vor sich hin und hält die eignen Hände zu beiden Seiten ihm nah, daß er nicht falle, und so geht der Knabe zwischen den Vaterhänden auf den Vater zu. Sowie er aber zum Vater herankommt, rückt der um ein weniges ab und hält die Hände weiter auseinander, und so fort, daß das Kind gehen lerne.“

Wahrheit:

Was bedeutet das, was die Leute sagen: „Die Wahrheit geht über die ganze Welt“ Es bedeutet, daß sie von Ort zu Ort verstoßen wird und weiterwandern muß. (Rabbi Baruch)

Leib und Seele:

Als Rabbi Schmelke von seiner ersten Reise zum Maggid heimkehrte und man ihn fragte, was er erfahren habe, antwortete er: „Bis nun hatte ich meinen Leib kasteit, daß er die Seele ertragen könne. Jetzt aber habe ich gesehen und gelernt, daß die Seele den Leib ertragen kann und sich von ihm nicht abzuscheiden braucht. Das ist es, was uns in der heiligen Thora zugesprochen ist: ‚Ich will meine Wohnung in eurer Mitte geben, und meine Seele wird euch nicht verschmähen.‘ Denn nicht soll die Seele ihren Leib verschmähen.“

Die Lehre der Seele:

Rabbi Pinchas führte oftmals das Wort an: „Die Seele des Menschen wird ihn belehren“, und bekräftigte es: „Es gibt keinen Menschen, den die Seele nicht unablässig belehrte.“ Einst fragten die Schüler: „Wenn dem so ist, warum hört der Mensch nicht auf sie?“ „Unablässig lehrt die Seele,“ beschied sie Rabbi Pinchas, aber sie wiederholt nicht.“

Etwas Großes tun:

Wenn ein Mensch etwas Großes in Wahrheit zu tun beginnt, braucht er nicht zu fürchten, daß ein anderer es ihm nachtun könnte. Wenn er es aber nicht in Wahrheit tut, sondern darauf sinnt, es so zu tun, daß keiner es ihm nachtun könnte, dann bringt er das Große auf die niederste Stufe herab, und alle können dasselbe tun. (Rabbi Pinchas)

Der Eilige:

Der Berditschewer sah einen auf der Straße eilen, ohne rechts und links zu schauen. „Warum rennst du so?“ fragte er ihn. „Ich gehe meinem Erwerb nach,“ antwortete der Mann. „Und woher weißt du,“ fuhr der Rabbi fort zu fragen, „dein Erwerb laufe vor dir her, daß du ihm nachjagen mußt? Vielleicht ist er dir im Rücken, und du brauchst nur innezuhalten, um ihm zu begegnen, du aber fliehst vor Ihm

Triebe „brechen“:

Ein junger Mann gab dem Riziner einen Bittzettel, darauf stand, Gott möge ihm beistehn, damit es ihm gelinge, die bösen Triebe zu brechen. Der Rabbi sah ihn lachend an: „Triebe willst du brechen? Rücken und Lenden wirst du brechen, und einen Trieb wirst du nicht brechen. Aber bete, lerne, arbeite im Ernst, dann wird das Böse an deinen Trieben von selber verschwinden.“

In der Hölle:

Der Apter sprach zu Gott: „Herr der Welt, mir ist bewußt, daß ich keinerlei Tugend und Verdienst habe, um derentwillen du mich nach meinem Tode ins Paradies unter die Gerechten versetzen könntest. Aber willst du mich etwa in die Hölle in die Mitte der Bösewichter setzen, so weißt du doch, daß ich mich mit ihnen nicht vertragen kann. Darum bitte ich dich, führe alle Bösen aus der Hölle, dann kannst du mich hineinbringen.“

Gib und nimm:

Die Losung des Lebens ist: „Gib und nimm.“ Jeder Mensch soll ein Spender und Empfänger sein.Wer nicht beides in einem ist, der ist ein unfruchtbarer Baum. (Rabbi Jizchak Eisik)

Götzenopfer:

Man fragte Rabbi Bunam: „Was ist mit Götzenopfer gemeint? Es ist doch ganz undenkbar, daß ein Mensch einem Götzen Opfer darbringt!“ Er sagte: „So will ich euch ein Beispiel geben. Wenn ein frommer und gerechter Mann mit andern bei Tisch sitzt und würde gern noch etwas mehr essen, aber seines Ansehns bei den Leuten wegen verzichtet er darauf, das ist Götzenopfer.“

Die große Schuld:

Die große Schuld des Menschen sind nicht die Sünden, die er begeht – die Versuchung ist mächtig und seine Kraft gering! Die große Schuld des Menschen ist, daß er in jedem Augenblick die Umkehr tun kann und nicht tut.

Die kommende Welt:

Einmal war der Sinn des Baalschem so gesunken, daß ihm schien, er könne keinen Anteil an der kommenden Welt haben. Da sprach er zu sich: „Wenn ich Gott liebe, was brauche ich da eine kommende Welt?“

Wo wohnt Gott:

Mit dieser Frage überraschte der Kosker einige gelehrte Männer, die bei ihm zu Gast waren. Sie lachten über ihn: „Wie redet ihr! Ist doch die Welt seiner Herrlichkeit voll!“ Er aber beantwortete die eigene Frage: „Gott wohnt, wo man ihn einläßt“

Die Ideenwelt des Chassidismus

Im Chassidismus lässt sich der Gedanke der Demokratie in geistiger und ökonomischer Hinsicht feststellen.

Es entstehen hier nicht übersteigerter Intellekt und Wertung eines Juden nach seiner Gelehrsamkeit im Vordergrund wie im Rabbinismus, sondern man setzt hier prinzipiell auf das jedem zugängliche religiöse Gefühl und die Intention (Kawwana).
Der radikale gesellschaftliche Demokratismus zeigte sich bei den ersten Führern, den Zaddikim. Rabbi Israel Baal-schem tov (ca. 1700 -1760) war der Schöpfer der Bewegung und widmete sich mit Vorliebe Ungebildeten und Armen aus dem Volk. Damit schuf er sich den Weg zum Herzen des Volkes. Er passte seine Sprache und sein Lebensgefühl ihren Neigungen an. Die Nächstenliebe zum Volk stand im Vordergrund.

Der Zaddik (einer der Gerechten) repräsentierte den Typus des autonomen Führers und entspricht so dem Charakter des Chassidismus als einer autonomen Gemeinschaftsbildung. Er wird aufgrund seiner Begabung zum Führer und ist das Gegenteil eines falschen Messias. Dieser will die Erlösung jedes einzelnen selbst vollziehen.

Wir stellen klar: Wer Jüdinnen und Juden und jüdisches Leben in Deutschland – in welcher Form auch immer – angreift, der greift die Grundlagen unserer Gesellschaft an, der tritt die Menschenwürde und Grundrechte aller mit Füße #chaimguski

Schma Jisrael – Höre Israel

Pessach Bedecke Deine Augen mit der rechten Hand und spreche so:

Höre Jisrael, der Ewige ist unser G-tt, der Ewige ist einzig.

Der folgende Vers wird leise gesagt:
Gelobt sei der Name der Herrlichkeit Seines Reiches für immer und ewig.
Du sollst den Ewigen, deinen G-tt, lieben mit deinem ganzen Herzen, deiner ganzen Seele und deiner ganzen Kraft.

Diese Worte, die Ich dir heute befehle, seien in deinem Herzen, schärfe sie deinen Kindern ein und sprich davon, wenn du in deinem Haus sitzest, und wenn du auf dem Weg gehst, wenn du dich niederlegst, und wenn du aufstehst. Binde sie zum Zeichen an deine Hand, sie seien zum Stirnschmuck zwischen deinen Augen.

Schreibe sie an die Pfosten deines Hauses und deiner Tore.
Es wird sein, wenn ihr auf Meine Gebote immer hören werdet, die Ich euch heute gebiete, den Ewigen euren G-tt zu lieben und Ihm zu dienen mit eurem ganzen Herzen und mit eurer ganzen Seele, so werde Ich den Regen eures Landes zur richtigen Zeit geben, Frühregen und Spätregen, du wirst dein Getreide einsammeln, deinen Most und dein Öl.

Ich werde das Gras auf deinem Feld für dein Vieh geben; du wirst essen und satt werden.

Hütet euch, dass euer Herz nicht verführt werde und ihr abweichet und Göttern der anderen dienet und euch vor ihnen bückt.

Der Zorn des Ewigen wird dann gegen euch entbrennen, Er wird den Himmel verschließen, dass kein Regen komme, und der Erdboden wird seinen Ertrag nicht geben; ihr werdet bald aus dem guten Land schwinden, welches der Ewige euch gibt.

Leget diese, Meine Worte, in euer Herz und in eure Seele, bindet sie zum Zeichen an eure Hand, und sie seien zum Stirnschmuck zwischen euren Augen. Lehret sie eure Söhne, davon zu sprechen, wenn du in deinem Haus sitzest und wenn du auf dem Weg gehst, wenn du dich niederlegst und wenn du aufstehst. Schreibe sie an die Pfosten deines Hauses und deiner Tore.

Damit eure Tage und die Tage eurer Kinder sich mehren auf dem Boden, den der Ewige euren Vätern geschworen hat, ihnen zu geben, wie die Tage des Himmels über der Erde.
Der Ewige sagte zu Mosche, damit er es lehre: Rede zu den Kindern Jisrael und sage ihnen, sie sollen sich Zizit (Schaufäden) an die Ecken ihrer Kleider machen für alle ihre Generationen, und sie sollen an die Zizit der Ecke einen Faden himmelblauer Wolle geben.

Es sei euch zu Zizit, damit ihr sie sehet und euch an alle Gebote des Ewigen erinnert und sie erfüllt, und späht nicht nach eurem Herzen und euren Augen, denen nachfolgend ihr Mir untreu werdet.

Damit ihr all Meiner Gebote gedenkt und sie erfüllt und eurem G-tt heilig werdet.

Ich bin der Ewige, euer G-tt, der Ich euch aus dem Land Ägypten geführt habe, um euch zum G-tt zu sein, Ich bin der Ewige euer G-tt.

In Hebräisch Transliteration:
Bedecke Deine Augen mit der rechten Hand und spreche so:
Schma Israel, A-donaj E-lohejnu, A-donaj Echad.

Der folgende Vers wird leise gesagt:
Baruch schem kwod malchuto leolam waed.
We’ahawta et A-donaj E-lohecha, bechol lewawcha, uwechol nafschecha, uwechol meodecha. Wehaju hadwarim haeleh ascher anochi mezawecha hajom, al lewawecha. Weschinantam lewanecha wedibarta bam, beschiwtecha bewejtecha, uwelechtecha baderech, uweschachbecha uwkumecha. Ukschartam leot al jadecha, wehaju letotafot bejn ejnecha. Uchtawtam al mesusot bejtecha, uwischarecha.
Wehaja im schamoa tischmeu el mizwotaji ascher anochi mezaweh etchem hajom, leahawa et A-donaj E-lohejchem ulawdo, bechol lewawchem uwechol nafschechem. Wenatati metar arzechem beito jore umalkosch, weasafta deganecha wetiroschcha we’jizharecha. Wenatati esew besadcha liwhemtecha, weachalta wesawata. Hischamru lachem pen jifte lewawchem, wesartem wa’awadtem E-lohim acherim wehischtachawitem lahem. Wechara af A-donaj bachem we’azar et haschamajim welo jihjeh matar we’ha’adama lo titen et jewula, wa’awadtem mehera meal ha’arez hatowa ascher A-donaj noten lachem. Wesamtem et dewaraj eleh al lewawchem weal nafschechem, ukschartem otam leot al jedchem wehaju letotafot bejn ejnechem. Welimadtem otam et bnejchem ledaber bam, beschiwtecha bewejtecha uwlechtecha baderech uweschachbecha uwkumecha. Uchtawtam al mesusot bejtecha uwischarecha. Lema’an jirbu jemejchem wimej wenejchem al ha’adama ascher nischba A-donaj la’awotejchem latet lahem, kimej haschamajim al ha’arez.
Wajomer A-donaj el Mosche lemor: Daber el benej Israel we’amarta alejhem we’asu lahem Zizit al kanfej bigdejhem ledorotam, wenatnu al Zizit hakanaf ptil tchelet. Wehaja lachem leZizit uritem oto, uschartem et kol mizwot A-donaj, wa’asitem otam, welo taturu acharej lewawchem we’acharej ejnechem ascher atem sonim acharejhem. Lema’an tiskeru wa’asitem et kol mizwotaji, wihitem kedoschim le’e-lohejchem. Ani A-donaj E-lohejchem ascher hozeti etchem me’erez Mizrajim lihjot lachem le’e-lohim, A-ni A-donaj E-lohejchem. Emet

Willkommen im Klippdachsland

Der Verfasser widmet diesen Text Frau Prof. Ruth Lapide.
„Ruth Lapide geb. Rosenblatt (* 1929 in Burghaslach) ist jüdische Religionswissenschaftlerin und Historikerin. Nach dem Tod ihres Mannes Pinchas Lapide im Jahr 1997 begann sie eine Karriere als Autorin und Lehrbeauftragte der Evangelischen Fachhochschule in Nürnberg.
Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem jüdischen Religionswissenschaftler Pinchas Lapide, setzte sie sich intensiv für die Versöhnung von Juden und Christen, für die Verständigung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel und für die Annäherung der drei großen monotheistischen Religionen ein.“

Mit großer Sympathie danke ich auch Dr. Angelika Magiros Dr. Elfi Danielzik-Storckund meiner geliebten Frau Doris

Schreibhemmung
Weißes Textfeld leer und fordernd. Himmelblauer Hintergrund, langweilig und bedeutungslos. Die Schreiboberfläche von Word auf dem Flat-Screen. „Warum schreibst Du jetzt nicht Flachbildschirm?“ Ein schönes deutsches Wort? Immer diese Anglizismen. So was in Denglisch.
Mir gefällt Flat-Screen besser, dachte er, irgendwie passt es besser, klingt auch besser, spricht sich besser, klingt moderner, wissender, für einen, der den Überblick hat. Für einen, der sich für so klug hält, die Dinge von außen zu betrachten und so besser einschätzen zu können.
Aber stimmte das wirklich? Hatte er tatsächlich den Überblick und schaute von außen, sozusagen als Betrachter auf die Dinge seines Lebens?
Niemals! Was für eine Selbstüberschätzung lag darin! Wie blöd musst Du eigentlich sein, Dich so zu sehen? Und schlimmer noch: Dich so zu präsentieren!
Es ist alles eitel, sagt der Dichter.
„Bitte ein wenig konkreter:
Ich bin eitel!“
Vor Tagen hatte er ein Gedicht im Web gefunden.
Vom Dichter Andreas Gryphius von aus dem Jahr 1637.
Verfasst mitten im 30 jährigen Krieg.
Das geht, in moderner Fassung, so:

„Es ist alles eitel
Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein.
Wo jetzt noch Städte stehn, wird eine Wiese sein.
Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden.
Was jetzt noch prächtig blüht, soll bald zertreten werden.
Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch’ und Bein.
Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.
Der hohen Taten Ruhm muss wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch, bestehn?
Ach was ist alles dies, was wir für köstlich achten.
Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind.
Als eine Wiesenblum’, die man nicht wieder find’t.
Noch will, was ewig ist, kein einzig Mensch betrachten!“

Oft schon, in den letzten Monaten, hatte er dieses Sonett, das ist wohl die richtige Bezeichnung für diese Form der Gedichte aus dieser Zeit, gelesen.
Gefiel ihm immer besser. Der Inhalt sowieso. Aber auch diese altertümliche Sprache, die Versform, das Versmaß. Einfach schön zu lesen.
Na ja bis auf das Schäferskind….

Über das Land der Klippdachse zu schreiben ist schwierig für einen wie mich, dachte er.
War er doch dort geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen, hatte ganz in der Nähe studiert, geheiratet ,eine Familie gegründet und, lebte immer noch dort.
Also der wissende Blick des Außenstehenden?
Abermals eine Anmaßung?„Ja so ist es. Hör auf, zu schreiben. Lass es sein, kommt nichts bei raus.“
Du kannst ja nur für dich schreiben.
Sozusagen als Möglichkeit zur Klärung innerer Konflikte. Als eine Art von literarischer Katharsis? „Das muss ich mir durch den Kopf gehen lassen.“ Dachte er sich.
Schreiben heißt sich mitteilen wollen. Das was innen ist nach außen kehren, weil es nach außen strebt. Da macht es wenig Sinn zu schreiben ohne den Anspruch, dass Andere ein Interesse daran haben, das Geschriebene zu lesen.
„Für mich jedenfalls,“ überlegte er.
Zurück zu den Klippdachsen.

Der Klippdach
Wer im Web sucht, findet zunächst Folgendes:
Wie die moderne Forschung annimmt, entspricht dem. Klippschliefer der mehrfach in der Bibel erwähnte Klippdachs.
Psalm 104 beschreibt ihn als Tier, das in den Felsen Zuflucht sucht. In den Zahlensprüchen schildert das Buch der Sprichwörter den Klippdachs als machtloses, schwaches Tier, das aber aufgrund seiner Weisheit trotzdem seine Wohnungen im Felsen baut. Einer missinterpretierten Beobachtung der biblischen Redakteure dürfte die Gesetzesvorschrift im Buch Levitikus entstammen, wonach der Klippdachs wiederkäue, aber keine gespaltenen Hufe habe, weshalb er als unrein anzusehen sei. Darauf basiert auch die Parallelstelle im Buch Deuteronomium.
Auch wenn dies letztlich nicht mehr sicher belegbar sein dürfte, sprechen diese Übereinstimmungen der biblischen Schilderungen mit der tatsächlichen Anatomie und Lebensweise des Klippschliefers dafür, den im Deutschen so bezeichneten Klippdachs mit dem Klippschliefer zu identifizieren.

An anderer Stelle ist zu lesen: Eines der Tiere, welche die Israeliten nicht essen durften. Es wird gesagt, dass er wiederkäut, jedoch keine gespaltene Hufe besitzt. Man nimmt an, dass das hebräische Wort shaphan auf den syrischen Schliefer hinweist, ein Tier, das ungefähr so groß ist wie ein Kaninchen. Es hat die Gewohnheit, dauernd die Zähne übereinander zu reiben. Es passt genau auf die Beschreibung von shaphan, zum Beispiel, dass es zwischen den Felsen wohnt, und dass es außergewöhnlich schnell von Fels zu Fels springt.

Es ist auch extrem schwierig zu fangen; eines von diesen Tieren hält steht’s stets Wache.
Wenn ein Feind sich nähert, wird ein Signal gegeben und sofort verschwinden alle Tiere.
Dies stimmt mit der Tatsache überein, dass sie „mit Weisheit wohl versehen sind.“
Aber wieso in aller Welt geht mir dieser Klippdachs nicht aus dem Kopf, dachte er.
Hatte es damit zu tun, dass er vor Monaten, wieder mal auf seinen Streifzügen durch das Web mehr zufällig auf die Seite einer Ausbildungsstätte für zukünftige evangelikale Pastoren gestoßen war?
Dort war zum Anlass der Verabschiedung eines Lehrers in den Ruhestand zu lesen:
„…. verglich Ihn mit dem biblischen Klippdachs, der sich auch in rauer Umgebung zu helfen wisse. Als Herdentier habe er sich nicht nur um sich selbst, sondern wie der Klippdachs vor allem um seine „Artgenossen“, die Studierenden und Kollegen, gekümmert…“
Mag sein. Erinnerungen aus Kindheit und früher Jugend waren geweckt.

Irrlehrer
Laienprediger unterschiedlicher evangelikaler Denominationen bestiegen damals die Kanzeln und Pulte der evangelischen Kirchen und der Gemeindehäuser. Und legten Zeugnis ab, wie es damals hieß.
Das geschah ohne besondere nachvollziehbare Eignung für diese Aufgabe.

Eine wie auch immer geartete theologische Vorbildung gab es wohl kaum oder sie wurde unterlaufen.
Die damals oft von ihm gehörte Begründung dafür:
Studierten Theologen bekämen an den Universitäten eine Lehre verpasst, die sich nicht mehr an der reinen Lehre der Bibel orientieren würde.
Bibeltreue Verkündigung sollte sein. Alles darüber hinaus sei eine gefährliche Irrlehre. Die gelte es zu bekämpfen.
Sie bilde eine große Gefahr für alle, die sich damit beschäftigen würden.
So mancher unbefangene junge Mann, der vorher aus so einer rechtgläubigen Gemeinde kam und sich aufgemacht hatte, um ein universitäres Theologie Studium zu beginnen sei vom rechten Glauben abgefallen.

Mit verheerenden Folgen. Der Teufel selbst habe sich mit Hilfe seiner Helfer an den Universitäten dieser armen Seele bemächtigt und sie verführt.
Nun drohe unweigerlich die ewige Verdammnis.
Es sei denn, er kehre um und schwöre der Irrlehre ab.
Dann – nur dann – sei eine erneute Aufnahme in die Gemeinschaft bibeltreuer Christen wieder möglich.
Der geneigte Leser mag sich nun denken :
Das kann doch nicht möglich sein.
Das ist doch eine mittelalterliche Denkweise.
Das ist doch ein Denken, was schon spätestens nach dem Zeitalter der Aufklärung für überholt erklärt worden ist.
Diese Einwände sind wohl für aufgeklärte, gebildete, modern denkende Menschen plausibel.
„Dennoch ist vom soeben niedergeschriebenen nichts zurück zu nehmen,“ dachte er sich.
Nun aber, bevor mit dem Schreiben fortgefahren wird, braucht es noch,
einer Klärung des an dieser Stelle schon häufiger verwendeten Begriffes:

Evangelikal
Sucht du nach seriösen Quellen im Web wird es sehr schnell unübersichtlich. Man muss sich beschränken, ganz sicher ist die Quellenauswahl subjektiv:
Mehr als 420 Millionen Evangelikale weltweit vereint die „World Evangelical Alliance“ nach eigenen Angaben unter ihrem Dach, insbesondere in den USA, Lateinamerika und Afrika boomt die bibeltreue Bewegung. Die missionarische Sammelbewegung speist sich aus Protestanten unterschiedlicher Herkunft, die eine wörtliche Bibelauslegung und die Sehnsucht nach persönlicher Glaubenserfahrung eint. Die Bibel gilt als oberste Autorität für das gesamte Leben, die Schöpfungslehre wird gegen Darwins Evolutionstheorie gestellt, vorehelicher Sex, Homosexualität und Abtreibung werden abgelehnt. In Deutschland leben nach Schätzungen bis zu 2,5 Millionen Evangelikale, genaue Zahlen kennt keiner.
Das Spektrum der Evangelikalen ist breit: Von Pietisten innerhalb der evangelischen Landeskirchen bis zu charismatischen und anderen Freikirchen oder Gruppierungen.
Als ein zentrales Dokument der weltweiten evangelikalen Bewegung gilt die „Lausanner Verpflichtung“ von 1974. Dort heißt es: „Wir halten fest an der göttlichen Inspiration, der gewissmachenden Wahrheit und Autorität der alt- und neutestamentlichen Schriften in ihrer Gesamtheit als dem einzigen geschriebenen Wort Gottes. Es ist ohne Irrtum in allem, was es bekräftigt und ist der einz ?unfehlbare Maßstab des Glaubens und Lebens.“ Noch weiter geht die Chicago-Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Bibel von 1978, auf die sich aber nicht alle Evangelikalen beziehen: „Wir verwerfen die Ansicht, dass die Unfehlbarkeit und Irrtumslosigkeit der Bibel auf geistliche, religiöse oder die Erlösung betreffende Themen beschränkt seien, sich aber nicht auf historische und naturwissenschaftliche Aussagen bezögen.“
Viele Evangelikale geben sich proisraelisch. Dahinter steckt allerdings oft eine problematische Haltung. Denn gleichzeitig halten die Evangelikalen an der „Judenmission“ fest. Die „Deutsche Evangelische Allianz“ hat ihre Position erst im September 2008 bekräftigt: „Gott ruft Gläubige auf, das Evangelium in die Welt zu tragen. Jeder muss diese Botschaft hören – auch das jüdische Volk.“ WOS 365857 4851
In Deutschland leben nach Schätzungen bis zu 2,5 Millionen Evangelikale, genaue Zahlen kennt keiner.
Das war jetzt ziemlich lang.
Und zugegeben nicht wertfrei verfasst.
Alle Quellentexte sind kursiv geschrieben vom Verfasser dokumentiert und können gerne auf Nachfrage genannt werden.
Der Verfasser beabsichtigt auch nicht wertfrei zum Thema schreiben.
Selbst wenn er es wollte würde es ihm sicher nicht gelingen

Musik
Der Verfasser erinnert sich:
In der 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde eine grundlegende Renovierung des Kirchengebäudes erforderlich.
Dieses Vorhaben wurde von einem damals noch jungen und neu in die Gemeinde gekommenen Pfarrers vorangetrieben. Die Ältesten in dieser Gemeinde sahen das Unterfangen kritisch. Viel wichtiger schien ihnen die schon Jahre zuvor durchgeführte Renovierung und Modernisierung des sogenannten Gemeinschaftshauses. Die Besitzverhältnisse für diese Immobilie sind dem Verfasser bis dato nicht klar.
Er schweifte ab. „Darum soll es an dieser Stelle nicht gehen. Also weiter:“
Im Zuge der Renovierung wurde auch das alte Orgelpositiv beseitigt. Alt nicht im Sinne von historisch altem Instrument.
Es war wohl eine Schenkung an die Kirchengemeinde nach dem Kriege aus Amerika, wie immer gesagt wurde.
Ein unglaublich schräg klingender Musikkasten, bei dessen Spielen ab und an einzelnen Tasten klemmten, sodass sich der gerade intonierte Ton nicht mehr abstellen ließ. Dann war der Organist, der Bürgermeister der besagten politischen Gemeinde, gezwungen das Gebläse des Instruments auszuschalten.
Er tat dies mit Hilfe eines Drehschalters aus Porzellan, der am Instrument befestigt war, was dann postwendend mit einem laut vernehmlichen PENG verbunden war.
Der klemmende intonierte Ton blieb dann noch für Sekunden konstant und verabschiedete sich dann aber ebenfalls langanhaltend mit immer leiser werdendem Jaulen.
Zum Schreien komisch.
Was geschah unmittelbar danach?
Nichts.
Kein Lachen, kein Prusten.
Nichts.
„Ach ja, öffentliches Lachen und sich laut freuen ist ja verboten,“ erinnert sich der Verfasser.

Dazu später mehr.
Die Quellenlage zu diesem Thema ist sehr reichhaltig und kaum an dieser Stelle zusammen zu fassen.
Würde dies doch die Grenzen einer Erzählung sprengen und beim geneigten Leser vielleicht Langeweile aufkommen lassen.
Nur so viel in aller Kürze:
Deutlich wird, dass es von Beginn an zu einer Blütezeit vor allem der Kirchenlied Literatur gekommen ist:
„Ab etwa 1670 wurde der Pietismus zur bestimmenden Strömung der deutschsprachigen Kirchenlied Literatur.
Der Pietismus begann als innerkirchliche Reformbewegung, welche die als Erstarrung wahrgenommene Rationalisierung der Theologie aufbrechen wollte (Vom Kopf in’s Herz) und ihr eine auf persönliche Bekehrung und gefühlsbetonte Frömmigkeit gegründete Glaubenspraxis entgegensetzte. Als „Vater“ des Pietismus gilt Philipp Jacob Spener mit seiner 1675 erschienenen Programmschrift Pia desideria. Nach Ablehnung von offizieller Seite fand der Pietismus schnell seinen Platz in privaten Erbauungszirkeln, in deren Stunden das pietistische Kirchenlied von zentraler Bedeutung war.
Die neuen Lieder waren meist betont subjektive, durch sprachliche Bilder geprägte Betrachtungen, in denen Beschreibung des persönlichen Empfindens vor klaren theologischen Aussagen im Vordergrund stand. Die Welt als Jammertal waren geläufige Inhalte. Daneben entstanden kämpferisch-missionarische Lieder, die zu einer neuen, bewussten Bekehrung aufriefen. Im Ganzen sank die literarische Qualität, dieselben abgegriffenen Formeln begegnen immer wieder.
Der Pietismus war bis zum Ende des 18. Jahrhunderts für die Kirchenlieddichtung von großer Bedeutung.

Das Licht
Es roch nach Gummi, abgestandener Gebläseluft, nach Schweiß und säuerlichem Glühweindunst.
Er kannte diesen Geruch aus vielen Jahren Busfahrt. Immer hin und her, immer von Dydena nach Hufenburg und zurück.
Zum Busgrunddunst kamen dann, je nach Jahreszeit, wechselnde Gerüche hinzu und hinweg. Auch die einzelnen Bushaltestellen auf dem Weg zur Schule in Hufenburg hatten unterschiedliche Gerüche.
Beierbach roch nach verbrannter Kohle, nach heißem Sand und, stinkend, nach Schwefeldunst.
Waldenau hatte eine merkwürdige Melange aus Bohröl, Benzin und Kuhstalldunst zu bieten.
Spitzenstein bot ein zweifaches olfaktorisches Erlebnis:
Dunst vom Wurstkessel und von Schweinemist aus der nahegelegenen Metzgerei gemischt mit dem Duft von frisch gebackenen Brötchen und sich aus dem Gärbottich blähenden Dunst von Sauerteig aus der benachbarten Landbäckerei herbeiwehend.
In Quotenhausen dominierte ganz klar der würzige, oft buttrig süße Duft der gegenüberliegenden kleinen Brauerei. War Vor allem dann, wenn aus dem roten Backsteingebäude über eine Förderschnecke frisch ausgekochtes Gerstenmalz sich breiig dampfend auf einen bereitstehenden Anhänger ergoss, der dann von einem eilfertigen Bauersmann abtransportiert wurden. Futter für sein Vieh. „Die Brauerei kotzt wieder mal!“ dachte er dann bei in solchen Momenten und ihm wurde augenblicklich übel.

Er stieg die enge Treppe hinunter, murmelte ein „Tschüss dann!“ und trat ins Freie, ohne eine Antwort zu erwarten. Augenblicklich atmete er klare kalte Winterluft, die nach nichts roch außer nach: „Du bist zu Hause.“ Er hustete kurz, mehr aus Verlegenheit als aus einem echten Bedürfnis seine Lunge vom Schleime zu befreien. „“Voll peinlich der Tag heute.“ dachte er, zog eine zerknitterte Zigarettenpackung aus der Parkatasche, nestelte, suchte und wurde schließlich fündig.
Der alte Bus schloss zischend die Tür und setzte sich träge brummend in Bewegung.

Das Feuerzeug fand sich in der anderen Manteltasche. Es zündelte hell, sogleich sah er eine bläulich gelblich, rötliche Flamme. Die Kippe entzündete sich knisternd. Der Duft war wunderbar. Er sog den Rauch tief ein, behielt ihn eine Weile in sich, um ihn dann deutlich hörbar auszustoßen.
Augenblicklich spürte er einen Schwindel, der sich beim zweiten Zug deutlich steigerte und unangenehm wurde:
„Scheiße, Scheißtag heute. Gut, dass jetzt Ferien sind, Weihnachtsferien. Klassenfahrt mit achtzehneinhalb, die meisten sind noch älter, einige schon fünfundzwanzig, das kann einfach nicht gut gehen. Und dann nur Jungs. Was bleibt da mehr als Saufen, Druckbetankung sozusagen.“

Er überquerte die Straße. Der Schnee knirschte nass, unter seinen Füßen. Ein Wind wehte von Osten her und wischte eisig über sein Gesicht. Er nahm ein Geruch von Kuhstall wahr, der wohle aus dem gegenüberliegenden Gebäude her entgegen wehte. Muffig süßlich, ein wenig stechend wie Salmiak.
Ein paar Schritte weiter an einem alten Gartenzaun and ? entlang. Die Latten des Zaunes trugen weiße Hütchen aus Schnee und glitzerndem Eis. Die Turmuhr schlug einen dumpfen tiefen Schlag. Tong.
Das Geräusch war ihm vertraut und weckte viele Erinnerungen aus der Zeit seiner Kindheit.
An der Zigarette ziehend drehte er sich um und blickte zum Kirchturm. Da stand er samt Kirchenschiff. Schwarz und massig mit aus Granitstein erbaut.

„Diabas“ sagte sein Großvater immer. „Das ist der Stein, aus dem dieses Gebäude erbaut ist.“
Man findet dieses Gestein hier in seiner Gegend. Seit 100 Jahren mühsam gewonnen. Damals noch Handarbeit.
Großvater hatte 30 Jahre im Steinbruch gearbeitet. Entsprechende Hände. Groß, dicke Finger, rau und faltig mit Schwielen an den Kuppen und am Ballen.

Landwirtschaft im Nebenerwerb, wie alle Familien hier. Das war dann vor allem Frauensache, wenn die Männer sich den Sommer über als Maurergehilfen im nahe gelegenen Verliererland verdingen mussten. Harte schwere Feldarbeit, fast alles per Hand und Buckel.
Ein Pflug, ein Wagen aus Holz. Große Speichenräder mit eisernen Laufflächen. Davor, zum Ziehen, eine Kuh manchmal auch zwei. Dunkelrote knochige Kühe. Eher mager und gedrungen, aber muskulös, gehörnt und drahtig. Kleiner Euter, aus dem so oft die Milch tropfte, wenn, auf dem Weg vom Feld, Mensch und Tier die Erschöpfung überkam.

Er kannte diese Geschichten gut, die sich die alten Männer und Frauen erzählten, wenn sie an Winterabenden zusammen saßen und sich unterhielten. Das klang dann so romantisierend ideal, verklärt und vom vielen Nacherzählen immer weiter weg von dem, was wirklich einmal so geschah.
Er saß damals als kleiner Junge mit dabei und hörte zu. Er spürte dann eine Stille, eine Ruhe, die ihn wohlig stimmte. Eine Stille, die durch die Wände der alten Bauernhäuser drang und sich auf die Gemüter legte.

„Geh nach Hause und geh zu Bett.“

Er schritt bergan, schnippte den glühenden Zigarettenstummel in den nassen Schnee. Der Stummel verlosch mit einem leisen Zischen, kaum hörbar, aber auf eine bestimmte Weise eindringlich. So als ob da etwas endgültig und unwiederbringlich zu Ende ging. Da war es wieder, dieses Gefühl von… ?
Etwas nicht zu Beschreibenes, etwas Drohendes, Dunkles, Leeres, Einsames unsagbar Vernichtung und Endgültigkeit Kündendes.

„Geh nach Hause, Du bist betrunken, müde und erledigt. Geh zu Bett, mach die Augen zu und schlaf.“

Weiter bergan. Die Silhouetten der Gebäude, die er erblickte, die ihm so vertraut waren, allesamt kleine Bauernhäuser mit Scheune und Hof. Weder stattlich noch wirklich bäuerlich. Eher klein und geduckt sich aneinander drängend, wie eine Schar von Weiderindern, die sich im nassen Schneeschauer aneinander drängen um Schutz zu finden. Damit nicht genug: Die ehemals schmucklosen Fachwerkfassaden verkleidet mit unendlich trostlosem Eternit. Die Fensteröffnungen ehemals klein und passend, nun herausgebrochen und ersetzt durch große Einflügelfenster, die mehr Licht in die Stuben bringen sollten. Wahrscheinlich sollte so eine Anpassung an die modernen Zeiten gezeigt werden. An eine städtisch kleinbürgerliche Wohnkultur der 60er und 70er Jahre.
Das Ergebnis war erbärmlich. Die letzten Reste des Ausdrucks einer dörflich-bäuerlichen Lebensweise, die eigentlich immer von Sparsamkeit, Entbehrung und trotzigem Fleiß gekennzeichnet war, sind bis zur Unkenntlichkeit verbaut, verhunzt und kaputt saniert worden.
Wenn die Häuser jemals etwas von der wirklichen Identität und der eigentlichen Lebensweise ihrer Bewohner zeigten, ist dies nun verschandelt und damit für immer verloren.
Weiter bergan. Die beiden Straßenlaternen, die an Draht befestigt, gespannt von einem Haus zum andern, milchig weiß ihr spärliches Licht abgaben, schon verloschen.
Er blickte auf und sah am Ende des Weges eine gleißend helle, punktförmige Lichtquelle. Sie strahlte hell und durchdringend, beleuchtet die Fassade, an der sie befestigt war und warf ihren hellen Schein auf den Schnee unterhalb von ihr auf den schneebedeckten Asphalt und, auf den schräg gegenüberliegenden Abhang der wiederum auf eine Hofeinfahrt mündete, die eine weiteres Bauernhaus mit der Straße verband.

Das Rasselchen
Es ist Dezember, kurz vor Weihnachten. Die Verwandtschaft trifft sich zur Geburtstagsfeier.
Die Vorbereitungen zu solch einem Ereignis sind umfänglich. Ein willkommenes Ereignis in einer dörflichen Umgebung. Ein nachmittägliches üppiges Kuchenbuffet ist obligatorisch.
Buttercremetorten, Sahnetorten in beachtlicher Höhe werden hergestellt.
Der Stolz für jede einer jeden Hausfrau.
Er erinnert sich an ein hämmerndes, sägendes Geräusch zu früher Morgenstunden, welches ihn weckte.
Hervorgerufen durch den Handmixer, der wohl starken Kontakt zur Rührschüssel hatte. Dazu der Geruch von Sahne, Vanille, und heiß gelaufenem Elektromotor.
Noch verschlafen und im Pyjama stieg er die Treppen hinunter, öffnete die Küchentür. „Zieh dich erstMmal an.“ sagte Großmutter. Mutter und Tante nickten beifällig, ohne die Arbeit zu unterbrechen.
Großvater saß im Sessel und rasierte sich ebenfalls elektrisch. Das ergab ein unnachahmliches Geräuschkonzert, das ihn noch Jahrzehnte an die Weihnachtszeit erinnerte.
Abends dann ein deftiges Geburtstagsessen. Der Höhepunkt einer jeden Familienfeier. Kartoffelsalat, Nudelsalat immer. Bratwürste und heiße Fleischwurst ebenfalls. Das Highlight aber immer Pumpernickel, dick mit Margarine bestrichen und mit Scheiblettenkäse belegt, mindestens in drei Schichten. Das ganze in längliche kleine Quadrate geschnitten und nach dem Essen zum Bier oder zum Wein gereicht. Der Wein eine wirklich süße Plörre, Marke Himmlisch Moseltröpfchen oder Kröver Nacktarsch.
Zum Schluss noch, vor allem zur Weihnachtszeit, selbstgemachte Plätzchen aller Art, die himmlische nach Butter, Vanille und Nüssen schmeckten.
Dergestalt gesättigt folgte auch er den Gesprächen der Gäste.
Für die Frauen ganz typisch, eigene Krankheiten, die der Nachbarn und Bekannten. Die schulischen Leistungen der Kinder, im Frühling dann der Zustand des eigenen Gemüsegartens.
Und schließlich, in aller Ausführlichkeit, Dorfklatsch jeglicher Art
Bei Männern hingegen war deren Mitteilungsbedürfnis eher übersichtlich. Bei den Alten war’s der Krieg und ihre Arbeit im benachbarten Siegerland als Maurer. Noch viele Jahre später glaubte er tatsächlich, dass alle arbeitsfähigen Männer Maurer waren und im Siegerland arbeiteten. Oft später dann, das Essen war schon im Gange kam, nun nennen wir Ihn Ottmar.
Er betrat das Wohnzimmer, ihm war anzumerken, dass ihn solche öffentlichen Auftritte deutlich überforderten und sagte:
Nichts.
Was niemanden wunderte. „Ottmar willst du noch Kuchen?“ „Das fehlt noch!“ sagte er.
Er schaute sich um und setzte sich dahin, wo noch Platz war. Frauen reichten ihm Teller und Besteck und rückten ihm die deftigen Speisen zurecht. „Lass es Dir schmecken!“ Ottmar delektierte sich bereits, nickte nur und öffnete die bereitstehenden Bierflasche.
All das geschah ganz beifällig, niemand nahm Notiz davon.
Einige Flaschen Bier später wurde Ottmar redseliger.
Sein Blick hellte sich dann deutlich auf und bekam dann bald etwas Wehmütiges und Verschämtes.
Er habe mal bald nach dem Kriege ein Flüchtlingsmädchen gekannt. Sie sei schlank gewesen. Dunkle Haare, ein Lockenkopf. Immer unternehmungslustig, zu Späßen und Streichen aufgelegt. Eine gute Tänzerin. Man nannte sie „Rasselchen.“
Alle jungen Männer seien hinter ihr her gewesen. Sie wäre dann aber von einem Katholiken weggeschnappt worden. „Von einem Sudetengauner!“ wie er sagte. Das dieses junge Mädchen wohl die Liebe seines Lebens gewesen ist, erwähnte er mit keinem Wort. Ottmar ist ledig geblieben. Wohnt mit seiner Schwester zusammen, die ihn versorgt.

Kakao und Käse
Emmerich trug meistens eine Baskenmütze. Sein Markenzeichen.
War im Kriege in französischer Gefangenschaft gewesen. Davon berichtete er mit Vorliebe. Von seinen Erlebnissen dort, vom Essen und Trinken und, von den Frauen. Die Schrecken und Grausamkeiten, die Mitschuld dieser Generation am Hiltlerfaschismus verschwieg er, oder hatte sie nicht erkannt. So wie fast alle Männer seiner Generation. Was übrig blieb, waren Geschichten, die in ihrer Verklärung eher an Pfadfinder-Geschichten erinnerten. Voller Verklärung und nostalgischer Idealisierung der damaligen Zeit.
Emmerich war beides. Auf der einen Seite ein beinharter Calvinist, der vehement alles ablehnte, was mit Genuss und Lebensfreude bedeutete.
Auf der anderen Seite ein sentimentalen Lebemann, der gerne aß und trank, vor allem den schweren süßen Moselwein.
Bier holte er sich gelegentlich mit der Milchkanne in der Dorfkneipe. Man sollte nicht sehen, dass er gerne ein Bierchen trank.
Er liebte diesen verkappten Lebemann, der zwischen Frömmelei und leichtem genussvollem Leben scheinbar ohne Problem hin- und herschwankte.
Gerade diese Doppeldeutigkeit, die so zwanglos daher kam, faszinierte ihn.
Mit der Zeit wurden sie Freunde mit einem Altersunterschied von annähernd 40 Jahren.
„Komm doch mit nach Hause, bei uns gibt es heute Abend Kakao und Käse.“ bot er ihm an.
Er schlug dieses Angebot nicht aus und ging mit.
In Emmerichs Zuhause angekommen duftete es schon an der Haustüre nach köstlichem selbstgekochten Kakao.
Auf dem Küchentisch stand dann schon verzehrfertig eine ordentliche Anzahl bereits dick mit Butter und Edamerkäse belegter Weizenbrötchen.
Liebevoll zubereitet von Emilia, seiner Ehefrau. Eine tiefgläubige Frau, die immer sanftmütig und freundlich den Haushalt führte, gut kochte und klaglos akzeptierte, dass er bei seinen häufigen Besuchen seine geliebten filterlosen Gauloise Coporal dabei rauchte.
Emmerichs politische Einstellungen waren denen der den Seinen gegenüber diametral entgegen gesetzt.
Er, der seinem Onkel Theodor nacheifernd Willi Brandt verehrte.
Emmerich dagegen ein Anhänger von Konrad Adenauer und dessen rückwärtsgewandter Politik der Restauration und der Verdrängung.
Typisch für die Bewohner des Klippdachslandes zu jener Zeit.
Wenn er vom Politisieren mit ihm genug hatte, bemerkte er: „Du bist ein hoffnungsloser Kommunist. Wenn der Russe von Osten her hier einmarschiert, wirst Du Bürgermeister,“ was schon fast wieder eine Anerkennung für ihn bedeutete.
Emmerich verstarb sehr früh und er erinnerte sich der bitteren Tränen, die er deswegen geweint hatte.

Elferraus und Apfelstrudel

Oma Christine war eine besondere Frau. Steht’s gütig und darauf bedacht alle Mitglieder ihrer Familie zu achten, vor allem die Kinder.
Eine Köchin, die aus den einfachsten Zutaten köstliche Gerichte zaubern konnte.
Ihr reichten Mehl, Wasser, ein bisschen Hefe, Zucker, Zimt, ein paar Äpfel oder Quark, um einen köstlichen Strudel zu bereiten, der seinesgleichen suchte.

Und, sie liebte Kinder. Lies dann alle Hausarbeit liegen wenn Enkelkinder, Neffen, Nichten zu Besuch waren:
Nachmittags so gegen drei. Seine Schwester und er machten sich auf den Weg. War ja nicht weit. Eine Straße bergab. Das schwarze Kirchengebäude ragte auf der gegenüberliegenden Seite massig empor, der Kirchturm schwang sich empor. Oben in der Mitte des Turms befand sich ein kleines Fenster aus dem ein schwacher Lichtschein zu sehen war. Ein Geräusch war zu hören. Metallisches es Klacken: Klack klack, klack, klack. Der Kirchendiener versah auch an diesem diesigen Novembertag seinen täglichen Dienst. Die Turmuhr musste täglich aufgezogen werden.

Ein schmaler Mann, ein wenig gebeugt schon überquerte dann die Straße, den Schlüssel der Kirchentür schon in der Hand. Ein braver Mann unscheinbar zurückhaltend. Er nuschelte vernehmlich beim sprechen. So als ob er das wüsste, sprach er Recht wenig.

Der Wetterhahn auf seiner Spitze war kaum noch zu sehen. Dann weiter gleich links bis zur zur Dorfkneipe. Wieder links und dann steil bergan. Es nieselte, Kuhfladen bildeten eine schmierige dunkelbraune Masse. Man musste aufpassen darauf nicht auszugleiten. Mitte November, es war den ganzen Tag nicht richtig hell geworden. Trübe, die Wolken schwarzgrau, neblig und dunstig.

Blickte man hangaufwärts nach rechts war da ein Bauernhaus in exponierter Lage. Gleich daneben ein riesiger Ahornbaum mit weit ausladendem Geäst. Früher, im 19. Jahrhundert, hatte dort eine kleine Fachwerkkirche gestanden. Davon ist nichts mehr vorhanden. Nur mündliche Überlieferungen erzählen davon.
Heute wohnte in dem besagten kleinen Bauernhaus ein Wagener, ein Stellmacher mit seiner Frau.
Seinen Beruf übte er schon lange nicht mehr aus. Aber, seine kleine Werkstatt, die Wagenerkammer, die existierte noch.
Er, schon lange in Rente war überdies über den Sommer der Dreschmaschinenführer.
Ein wichtiges und verantwortliches Amt, welchem er sorgfältig, stolz und mit Würde nachkam.
Dazu aber mehr an anderer Stelle.

Weiter bergan. Gleich links dann erneut ein kleines Bauernhäuschen.
Hier wohnte der Hausschlachter, der gleichzeitig auch bei Rückenproblemen und Knochenbrüchen konsultiert wurde.
Ebenso bei einfachen tierärztlichen Behandlungen, die sich vor allem auf das Kastrieren von Katzen und Ferkeln erstreckte, schritt er helfend zur Tat.
Auch dazu mehr an anderer Stelle.
Nach einer kleinen Weile dann war die Steigung überwunden und es ging bergab.

Einige wenige Meter noch. Das Haus der Grosseltern. Erbaut in Stile der 50er Jahre. Steiles Dach mit kleiner Dachgaube.
Das Parterre, als Kellergeschoss genutzt eine massive Bruchsteinmauer in Diabaststein.
Auf das sorgfältigste vermauert, die Mauerecken zusätzlich mit Hammer und Meisel in die Senkrechte gebracht.
Ebenerdig links ein kleiner Hof, gepflastert.
Die Pflastersteine aus Beton gegossen, selbstredend von Hand gegossen und verlegt.
Gleich dahinter rechtwinklig zu Haus der Schweinestall.

Gleich obenauf im ersten Stock mit einem Fenster zum Hof Opas Schreinerwerkstatt, besser Werkstatt für alles was gebaut, instandgesetzt, und aufgefrischt werden musste.

Vor dem Hause, ein kleines Gärtchen mit einer Rosenblumen Rabatte. Und der Mitte ein Bank, grün gestrichen und selbstverständlich von Grossvaters Händen hergestellt.

Zurück zum Hauseingang. Eine steile Treppe führte zur Haustüre.
Eine Türklingel war nicht erforderlich.
Oma war eigentlich immer, wenn Sie zuhause war in ihrer Küche und werkelte dort.
Sie brauchte dann lediglich aus dem Fenster zum Hof hin zu schauen und hatte damit die Haustüre fest im Blick.
So war es auch diesmal.

„Kummt rinn. S gebt Strudel.“ sagte sie im unverwechselbaren Dialekt der Donauschwaben und strahlte uns einladend an.
Kaum in der Küche, die Anoraks vorher an der Garderobe abgelegt.
„Wollt ihr Kaba?“
„Au ja gerne“
Oma Griff zu einem himmelblauen kleinen Kochtopf der auf dem Ölherd stand.
Die Milch war warm. Schnell drei Teelöffel „Kaba“ in beiden großen Tassen. Die Wärme Milch dazu umrühren und fertig.
„Schmeckt ja so gut“ sagte seine Schwester.
Sahnig, milchig, nach Schokolade und nach Vanille schmeckend, herrliche duftend.

Der Geschmack und Geruch der Kindheit, den man nie vergisst.
Überhaupt ein harmonisches Konzert von Düften erfüllte Omas kleine Küche.
Da war der Hefeteig der sich bereits gährend in einer Steingutschüssel blähte.
Süsssauer der Duft der bereits geraffelten Backäpfel, aus dem eigenen Garten, bereits ein wenig goldbraun angelaufen. Vanillezuckerduft.

Und kaum riechbar der Geruch des brennenden Ölherds, eine hauchfeine Petrolnote, die nicht störte, sondern das olfaktorische Erlebnis komplettierte, eben der Grosseltern Hausgeruch, so wie damals jedes Haus seinen typischen unverwechselbaren Geruch hatte.

„Wo ist eigentlich der Opa?“ fragte eine Schwester, die noch ein kleines Kakaobärtchen an der Oberlippe hatte.

„Där iss beim Balzer (Balthasar). Duut Ihm helfe.“ antwortete Oma.
Balthasar war der Gatte von Ernestine, die Tochter von Oma.

Balthasar war ein kluger steht’s verschmitzt lächelnder Mann. Immer zu Scherzen aufgelegt. Ein lieber Gatte und vorbildlicher Schwiegersohn. Genau so seine Ernestine. Sehr kinderlieb, herzlich, gemütvoll, so wie bei der ganzen Familie zu beobachten.

Alle zusammen Donauschwaben, seit Jahrhunderten aus Not und Verfolgung flüchtend im Balkan eine neue Heimat. Da war wohl eine glutvolle emotional offene slawische Seelenverwandtschaft entstanden, der die Familienbande überalles ging und Kinder immer die wichtigste Rolle einnahmen.

Und fleißig waren sie, sehr fleißig, aber auch immer bereit zu feiern, gut zu essen und zu trinken.

Die Küche der Donauschwaben, war stark beeinflusst von der K.u.k-Monarchie des 19. Jahrhunderts und deren Multikulturalismus. Sie brachte eine völlig neue Küche ins Klippdachsland. Zutaten wie Knoblauch, Gemüse wie Tomaten, Paprika waren dort bis dahin unbekannt.

Hasan, ein Albaner aus dem Kosovo arbeitete auf dem Sägewerk, gleich am anderen Ende des Dorfes.
Er, schon in den 60er Jahren als „Gastarbeiter“ nach Deutschland gekommen, wohnte inmitten des Dorfes gleich beim Raiffeisen Lager.
Dort wurden vor allem Futtermittel verkauft.
Die kleine Lagerhalle hatte vor Kopfe einen noch kleineren Anbau der als Kasse, als Bank diente.
Dort arbeitete der Buchhalter des Raiffeisen Vereins. Ein gestrenger älterer Herr, stehts mit verdrieslicher Miene. Er gehörte der ansässigen Darbistengemeinde an, von der an anderer Stelle zu berichten ist.
Nun, die Bankfiliale war seit kurzem geschlossen worden und der ältere Herr der „Raiffeisen Pädder“ genannt wurde erhielt seine Rente.
Hasan nahm die Gelegenheit beim Schopfe, bewarb sich als Mieter mit dem Versprechen alle notwendigen Renovierungsarbeiten selbst zu tätigen und war von nun an der neue Mieter.
Hasan besuchte Woche für Woche den Opa.

Immer Samstag Nachmittag. Der guten Tradition folgend zog er an der Haustüre steht’s die Schuhe aus, ein Brauch der auch bei Opa und Oma üblich war.
Man begrüßte sich schon an der Haustüre herzlich und Opa geleitete den Gast durch die Küche hinein in angrenzende Wohnzimmer.
Von nun an sprach man ausschließlich serbisch, die Muttersprache von Hasan. Opa bot Ihm steht’s zur Begrüßung einen Racki an. „Wilscht n Rackel Hasan?“ Hasan nahm dankend an. Man unterhielt sich man sprach über Alles. Über die Arbeit, über die alte Heimat, über Politik….. . Und natürlich über Fussball, schließlich begann pünktlich um 17:30 die Sportschau auf dem Ersten. Oma kochte Kaffee und kredenzte einen köstlichen, am vormittag gebackenen Mohnstrudel, ein Hefegebäck, als Zopf geflochten, der so unvergleichlich leicht und locker gebacken war und köstlich zu Bohnenkaffee mundete.
Pünktlich dann gegen 18:30 verabschiedete sich Hasan dann. Man gab sich die Hand, oder klopfte sich freundschaftlich auf die Schulter. Opa begleitete Hasan zur Haustüre. Der zog seine Schuhe wieder an und trat nochmals grüßend den Nachhauseweg an.

Oma hatte inzwischen Küchenfenster und Wohnzimmerfenster geöffnet.
Dabei sagte Sie steht’s:
„Huii drr Hasan däär hott Stinkfiess“

Dies nur als ein Beispiel für die folgende Aussage:

Eine Verhärtung und Engführung in Fragen der Lebensführung, der Politik und der Religion war bei Oma, war in dieser ganzen Donauschwäbischen Familie nicht zu finden.

Man war fleißig, lebte sparsam, tat seine Pflicht, war durchaus gottesfürchtig. Aber nicht auf diese ausgrenzende verhärtete, kalte Art und Weise wie sie im Klippdachsland zu beobachten war.

Ihm tat das immer sehr gut. Es hat sein bisheriges Leben entscheidend geprägt.
Die Oma und auch der Opa haben immer noch ein festen Platz in seinem Herzen.

Elferraus und Apfelstrudel

„Wollen wir Mal Elfer-Raus spielen fragte seine Schwester.“
„Iss gut, mach ich gern mit eich“ sprach Oma, was nicht anders zu erwarten war.
Oma hatte bereits, auf der einen Hälfte des Tisches, den warmes Gefährten elastischen, herrlich duftenden aus der Steingutschüssel herausgenommen und ihn nach allen Regeln der Kunst gewalkt und zu einer Teigkugel geformt.
Das Mehl auf dem Küchentisch verstreut tat sein übriges damit das Werk gelang und der Teig nicht haften blieb.
Feine Staubwölkchen stoben auf und legten sich sachte auf Omas Arme, auf die Brille, ein wenig auch auf ihr silbernes Haupthaar.
Nun legte Sie ein weißes Tuch aus Leinen auf die eine Hälfte des ausgezogenen Küchentisches.
Der Teiballen darauf und kunstvoll im Viereck langsam, behutsam in die Länge gezogen.

Oma wischte die eine Hälfte des Küchtisches blank.
Die Geschwister hatten dort schon auf den Küchstühlen platzgenommen.
Oma öffente die linke Tür des Küchenschranks.
Eine vom vielen benutzen schon angegriffene grüne durchsichtige Plastikschachtel wurde von Ihr herausgenommen.
Elfer-Raus stand in erhabener Schrift darauf.
Die Schachtel barg die Elfer-Raus Karten. Auch schon recht abgegriffen, ein wenig speckig, von vielen spielen ein wenig fleckig.
Die Elferkarten herausortiert in auf dem Küchentisch zu einer senkrechten Reihe sortiert.
Inzwischen hatte Sie den fertig zusammengerollten Apfelstrudel auf ein Backblech geschoben und in den Backofen verbracht.

„Nu geht’s los.“
Das Spiel begann.
Jeder erhält 11 Karten auf die „Hand“
Bei jeden Spieler ordentlich gefächert, nach Zahlen und „Farben“ sortiert.
Der Rest kommt in den „Stock“.
Nun beginnt man passend an die Elfen, die nach Farben zu sortieren sind abzulegen.
Ist keine passende Zahl in der passenden Farbe auf der Hand muss man eine aus dem „Stock“ ziehen.
Ein schönes Kartenspiel, was den Spielern Zeit lässt sich nebenbei zu unterhalten, auch kurze Unterbrechungungen Schäden nicht.

So auch Oma, immerwieder aber ohne Eile nach dem Apfelstrudel zu schauen, der sich nun ganz sachte im Ofenrohr bräunte.
Karamelige Düfte erfüllten Zug um Zug die Küche, vor allem dann wenn Sie die Backofentüre vorsichtig öffnete um Ihr Werk zu betrachten.

Das Kartenspiel nahm seinen Lauf, immerwieder unterbrochen, weil Oma den Backofen öffnete und wieder schloss, fertig gebackenen köstlichen Strudel herausnahm und mit weiteren Strudeln, die noch zu backen waren, hineinschob.
Der Strudel köstlich. Elfer-Raus mit Oma spielen, dabei Strudel essen. Ganz zwanglos, ohne Anstandsregeln und Ermahnungen.

Manchmal wenn er alleine bei Oma war legte er sich auf das alte Chaiselongue gleich rechts unter dem Fenster zum Hof. Sein Kopf auf ein Sofakissen gebettet lauschte er den Freddi, wie Oma immer sagte Freddy Quinn… „Junge komm bald wieder……. .
Jenes Sehnsuchtslied der vielen Geflüchteten in den Nachkriegsjahren, daß die Sehnsucht, das Heimweh nach der alten Heimat besang.

Er hörte dann, ganz still und andächtig zu. Vor seinem geistigen Auge sah er dann die Bilder aus der alten Heimat von Oma, die Sehnsucht danach, den Schmerz und die Verzweiflung derer die vor Krieg und Not geflohen waren.
Das Radio, ein großes Röhrengerät, vorne mit Stoff bespannt, weiter unten die Skala mit den Namen der Städte von denen aus die Sender ihre Radiowellen in den Äther strahlten.

Noch weiter unten große elfenbeinfarbige Druckknöpfe.
Einer jener Knöpfe war im Laufe der Zeit zerbrochen. Der Opa handwerklich und auch kunsthandwerkliche sehr begabt und erfahren hatte jenen Knopf aus Holz nachgebildet, „gschnitzt“ sagte er. Er passte perfekt und ersetzte den entstandenen Schaden.

Links und rechts der Skala zwei große schwarze Drehknöpfe. Der linke für die Lautstärke, der rechte für die Senderwahl.
Drehte man diesen, bewegte sich ein senkrechtes weisses Stäbchen hinter der durchsichtigen Skala in der waagrechten hin und her.
Die Skala war von hinter mit 2 Glühlämpchen beleuchtet, so war alles gut zu sehen.
Er konnte dann auch der Knopf für die Kurzwelle drücken.
Bewegte er nun den rechten Knopf eröffnete sich Ihm die ganze Welt. Auf der Skala die Funk und Radiostationen einer ganzen Welt: Rom, Paris, London, Berlin, Hamburg, Moskau, Reikjawik…. .
Morsezeichen von fernen Schiffen.
Funkten sie etwa den Notruf dididi dadada dididi: Save ouer souls?

Plötzlich eine laute Männerstimme die in tempramentvollen Timbre italienisch sprach, gefolgt von lauter Schlagermusik.

Und dann: Eine sonore sehr bestimmte Frauenstimme:
zwo,neun, sieben, null, zwo, zwo….
Stundenlang hörte er zu.
Das waren die Gemeinagenten aus der Ostzone. So sendeten sie Ihre geheimen Botschaften von West nach Ost, bekamen neue Befehle.
Wie spannend wie abenteuerlich.

Dazu dann das magische Auge des Radiogeräts links oben auf der stoffbezogenen Lautsprecherblende. Hübsch eingerahmt in einem goldenen Rahmen die in der Mitte waagrechte kleine Blitze aufwies.
Dort glühte es geheimnisvoll in einem grünlichen Türkis.
Wählte man einen anderen Sender, breitete sich das Türkis aus, wurde intensiver und zog eine fächerförmige Bahn bis sich die beiden Fächer in der waagrechten zusammenschlossen. …
Wird fortgesetzt……..

Links:

Die Donauschwaben

Donauschwäbische Dialekte

Donauschwäbische Küche

Die Küche

Das erste Auto war ein dunkel rot lackierter VW Käfer. Der war über einen Freund der Familie günstig erstanden worden. Keine 100 Mark, wie sein Vater sagte. Käfer typisch der Geruch in inneren des Fahrzeugs. Ein bisschen nach Fußschweiß mit einer Note von kaltem Zigaretten Rauch und nach Benzin. Am deutlichsten hervortretend aber der Geruch von verbranntem Gummi. Alle Käfer Autos litten in ihrem fortgeschrittenem Alter an immer desselben Krankheit. Die Heizung ließ sich nicht mehr abstellen.
Der Hebel eingerostet, die Lüftungsklappen verhakelt. Im Winter sehr nützlich, aber nur begrenzt ihrer eigentlichen Bestimmung tauglich, nämlich zu heizen. Vor allem die winterlich gefrorene Windschutzscheibe taute man damit nie auf.
Zum Gummigeruch gestellte sich, noch oft scharf in der Nase stechend, der Geruch von Säure. Salzsäure aus der Autobatterie die sich unter der Rücksitzbank befand.
Damals, es war Herbst, schon dunkel. Er fuhr mit Vater in Richtung Herrenbrunnen. Der hatte versprochen einem befreundeten Ehepaar bei Renovierungsarbeiten zu unterstützen. Vater war ein handwerkliches Allround Talent.
Immer wenn ein Handwerker gefragt war, Vater war stets zur Hilfe bereit. So auch an jenem Abend.
Dort angekommen, geklingelt, was für uns schon eine Ausnahme war, weil dort wo Vater und Sohn lebten alle Haustüren gewöhnlich immer offen standen. Günter öffnete. „Guten Abend, schön das Ihr gekommen seid, hereinspaziert.“

Günter mit seiner Frau Kritzel, die mir sogleich einen Kakao anbot, sind beide Darbysten.

Sie betraten die Küche. Helles Neonlicht blendete ihn sofort. Es roch nach Erbsensuppe, vom Abendessen.
Typische Kochküche der 1960er Jahre. Viel zu klein zu eng. Kein Küchentisch.
Nur eine ausziehbare Resopal- Platte, Farbe weiß die zum Essen diente. Keine Küche zum Leben, zum Wohnen zur gemeinsamen Essen und trinken. Blitzsauber, steril und ohne Seele. Wie geschaffen sich Nahrung zuzuführen. Vater war schnell fertig. Küchenschränkchen aufhängen, Leiste ziehen. Fertig. „Willst Du was trinken?“ „Nein, muss noch Fahren.“. „Was essen?“ „Sind schon satt, haben schon zu Abend gegessen.
„Und Du junger Stammhalter“, wie er diese Zuschreibung hasste, Bonbon gefällig?“ „Ja gerne Danke.“ Bayrisch Blockmalz. Schmeckte wiederlich. Nach Küchenschrank, alt, aufdringlich süsslich. Na ja dachte Er sich. „Aus so einer Küche kann’s nicht schmecken.“

Mox continues (Wird fortgesetzt……!

Was bringt mir das?

Wer nur das eine immer wieder fragt sein Leben lang:

„Was bringt mir das?“
Der ist ein armer Wicht.
Der hat verlorn all das was wirklich wichtig ist.
Der Mensch lebt nie für sich allein.
Und tut ers doch dann gerät er schnell
zum Hedonisten
und zum Utilitaristen.

Er sagt dann:
„Ich handle so, dass für mich das größtmögliche Maß an Glück entsteht!

Diese inzwischen weitverbreitet Lebenseinstellung führt zu verhängnisvollen Entwicklungen in den modernen spätkaptalistischen Gesellschaften der westlichen Welt.
Hinzu kommt, was noch weit schlimmer ist:
Weniger entwickelten Gesellschaften fügt er dadurch nicht wiedergutzumachende Schäden an Leib und Leben zu.

1.Die negativen Auswirkungen des kapitalistischen Systems

Heiner Geissler sagt dazu folgendes:

Heiner Geissler

„Die negativen Auswirkungen des kapitalistischen Wirtschaftssystems auf die Menschen sind nicht erst seit der Finanzkrise evident. Seit Jahren argumentiere ich, oft ausgelacht und absichtlich missverstanden, in fast jeder Talkshow, jedem Vortrag gegen diese Wirtschafts»ordnung« und ihre absehbaren Folgen.

Demokratische Entscheidungen wurden durch die Diktatur der internationalen Finanzmärkte ersetzt, und nach ihrem Zusammenbruch sind die Staaten gezwungen, sie zu retten.

Hundert Millionen von Arbeitslosigkeit bedrohte Menschen in Europa und den USA und drei Milliarden Arme, die zusammen jährlich ein geringeres Einkommen haben, als die 400 reichsten Familien der Erde an Vermögen besitzen, sind geeint in der Angst vor der Zukunft, aber auch in der Wut, dem Abscheu und dem tiefen Misstrauen gegenüber den politischen, ökonomischen und wissenschaftlichen Eliten, die ähnlich den Verantwortlichen in der Zeit des Übergangs vom Feudalismus in die Industriegesellschaft offensichtlich unfähig waren und teilweise immer noch sind, die offenkundigen Fehler des kapitalistischen Systems zu erkennen und die unausweichliche Globalisierung der Ökonomie human zu gestalten.

Die Menschen sind Opfer einer Shareholder-Value-Ökonomie, die keine Werte kennt jenseits von Angebot und Nachfrage, die Spekulanten begünstigt und langfristige Investitionen behindert.

Die Staatsmänner der westlichen Welt ließen sich von den multinationalen Konzernen und den Banken erpressen und gegeneinander ausspielen: Verantwortlich ist ein Meinungskartell von Ökonomieprofessoren und Publizisten, die meinen, die menschliche Gesellschaft müsse funktionieren wie ein Industriekonzern, und die sich beharrlich weigern anzuerkennen, dass der Markt geordnet werden muss, dass auch global Regeln einzuhalten sind und Lohndumping die Qualität der Arbeit und der Produkte zerstört.

Jetzt spürt jedermann die Folgen einer Wahnidee, die schon in den zwanziger Jahren die Weltwirtschaftskrise verursachte, nämlich des Irrglaubens, die Gesetze und Selbstheilungskräfte der Märkte würden alle Probleme von selbst lösen.

Das Spannungsverhältnis zwischen Kapital und menschlicher Arbeit, einschließlich Forschung und Innovation, ist geblieben.

Die Kommunisten hatten versucht, den Konflikt dadurch zu lösen, dass sie das Kapital eliminierten und die Kapitaleigner liquidierten.

Bekanntlich sind sie damit gescheitert. Der Kapitalismus eliminiert die Arbeit und liquidiert die Menschen am Arbeitsplatz. Der Kapitalismus ist genauso falsch wie der Kommunismus.

Während in den siebziger und achtziger Jahren noch über achtzig Prozent der Menschen den Satz »Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es auch mir gut« bejahten, sind es heute keine zwanzig Prozent mehr. Unsere politische Stabilität beruht aber auf der Trias Demokratie, Marktwirtschaft, Sozialstaat. Wenn eine dieser Säulen wegbricht, sind auch die anderen gefährdet.

Die Folgen sind Perspektivlosigkeit und immer mehr Stückwerk. Es fehlt ein umfassendes politisches und makroökonomisches Konzept für eine humane Gestaltung der Globalisierung.“

In den letzten 20 bis 30 Jahren hat sich eben dieser unselige hedonistisch utilaristische Zeitgeist, maskiert als sog. neoliberale Wirtschaftsordnung, auch in unseren Gesundheits- und Sozialsystemen breit gemacht.
Unter dem Deckmantel von Kostenorientierung und angeblicher Kundenorientierung wurden die bestehenden Systeme entsprechend angepasst.
Was dabei herausgekommen ist:

2. Folgen der Ökonomisierung für die Denkweise der praktizierenden Sozialarbeitenden:

„Nicht nur die Praxis und das Handeln der Sozialarbeitenden ist von der Ökonomisierung geprägt. In den Köpfen unserer PraktikerInnen haben sich das Gedankengut und die Denkweise der Betriebswirtschaft bereits festgesetzt.

Die betriebswirtschaftliche Sprache und Logik beherrscht auch die Köpfe. Qualifizierte Soziale Arbeit wird von den Fachkräften selber als Luxus abgetan.

Die Ökonomisierung und ihre Folgen werden als selbstverständlich, als unvermeidbar, normal und natürlich erlebt und akzeptiert. Man findet nichts dabei, die fachliche Verantwortung in die Hände der Politik und Verwaltung ab zugeben.

Und auch eine Abwertung der eigenen KlientInnen hat bereits Einzug in das Denken und Fühlen so mancher PraktikerInnen gefunden.

Zusammengefasst lässt sich feststellen:
Die Veränderungen durch die Ökonomisierung wirken sich auf den Prozess der Erbringung sozialer Dienstleistungen, und auf die Definition der Aufgaben und der Zielgruppen Sozialer Arbeit, aus.

Und nicht zuletzt verändern sie die Binnenstruktur, also z.B. die Organisation, die Sprache, die Bedeutung bestimmter Bezugswissenschaften, die intentionale Ausrichtung und die Methoden der Sozialen Arbeit.

Soziale Arbeit als in diesem Sinne ökonomisierte Soziale Arbeit ist damit nicht mehr in der Lage, ihre Ziele, Wege und Zielgruppen selber zu bestimmen.

Die Veränderungen und Herausforderungen der neoliberalen Politik und der Ökonomisierung führen zu einer Abwendung der Sozialen Arbeit von ihren fachlichen und ethischen Grundsätzen.“

Vor dem Hintergrund meiner eigenen beruflichen Erfahrungen aus den letzten 35 Jahren, kann ich dem nur zustimmen.

3.Politik und Ethik

Noch einmal Heiner Geissler:
„Die globale ökonomische und soziale Entwicklung steht im diametralen Gegensatz zur Botschaft des Evangeliums. Die Ökonomisierung der Gesellschaft beruht auf dem kapitalistischen Wirtschaftssystem, in dem die menschlichen Werte auf den Kopf gestellt werden.

Das Kapital ist im Lichte des Evangeliums keineswegs per se schlecht, aber es hat den Menschen zu dienen und nicht die Menschen zu beherrschen.

Heute ist es umgekehrt:
Das Kapital beherrscht die Menschen, und die Menschen sind seinen Interessen ausgeliefert.
Es gibt in der Politik aber keine überflüssigen Menschen.
In den Demokratien haben sie alle eine Stimme, und sie werden sie nutzen.
In autoritären oder diktatorischen Systemen, wo die Menschen keine Stimme haben, werden sie oder ihre geistlichen Führer sich Waffen besorgen, und wenn es f liegende Kerosinbomben sind, die in den Symboltürmen des Kapitalismus einschlagen, oder Sprengsätze, die, von Handys gezündet, in Vorortzügen europäischer Hauptstädte explodieren. Das verfehlte Wirtschaftssystem produziert den Terrorismus.“

3.1 Sapere aude.
Lösungswege vor dem Hintergrund jüdisch christlichem Denkens.
Die Sache mit der Nächstenliebe.
Und nochmals Heiner Geissler:
„Die Botschaft der Nächstenliebe ist die Grundlage der Zivilisation.
Doch sie wird missverstanden und lächerlich gemacht.
In Leitartikeln in den Wirtschaftsteilen der großen Zeitungen wird gefragt, was Nächstenliebe und Solidarität in einer modernen globalen Welt zu suchen hätten.

Vor 2000 Jahren schon stellte ein Pharisäer dem, wie die FDP sagen würde, Gutmenschen Jesus die Frage:

Sag mal, Rabbi, wer ist denn der Nächste? Jesus gab bekanntlich keine direkte Antwort, sondern erzählte eine Geschichte aus dem Wadi el-Kelt, von der Aduminsteige, der Blutsteige, einem für Mord und Totschlag berüchtigten Flusstal, das sich herabzieht von Jerusalem nach Jericho:
Ein Jude wird dort überfallen, blutig geschlagen, ausgeraubt und bleibt am Weg liegen.
Der Priester, der vorbeikommt, geht weiter, genauso der Levit.
Aber dann kommt der Mann aus Samaria.
In den Augen der Juden ein Ungläubiger, ein Apostat, und dieser Abweichler, so würden wir heute sagen, versorgt den Verletzten, bringt ihn ins nächste Hotel und gibt dem Wirt sogar Geld, damit der sich weiter um ihn kümmert.
Nachdem er das erzählt hatte, stellte Jesus die Gegenfrage.
Wir denken ja, der Verletzte sei der Nächste, aber Jesus fragte den Pharisäer etwas ganz anderes, nämlich wer von den dreien der Nächste für den Überfallenen gewesen sei, der Priester, der Levit oder der Samariter.
Darauf blieb dem Pharisäer nichts übrig, als zu antworten:
Der Mann aus Samaria.

Was bedeutet diese Geschichte?
Ich, wir alle sind die Nächsten für diejenigen, die in Not sind. Ich muss nicht die ganze Welt lieben von Kamtschatka bis zum Südpol, möglichst viele, damit es auch möglichst unverbindlich wird.
Ich muss auch nicht den Silvio Berlusconi lieben oder George W. Bush.
Mir wird schlecht schon bei dem Gedanken, ich müsste ohne Ausnahme alle Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in Berlin lieben oder gar diejenigen der SPD.
Die Nächstenliebe oder modern gesprochen die Solidarität ist keine Gefühlsduselei, keine platonische Angelegenheit, nichts, das mit seelischem Wohlbefinden zu tun hat, eben kein Gutmenschentum.
Nächstenliebe ist eine Pflicht. Man muss demjenigen helfen, der in Not ist. Ohne Einschränkung, ohne Alternative.
Das kann unter Umständen auch der Feind sein.
Das ist in Wahrheit die Bedeutung der so verspotteten Feindesliebe.
Sie ist eine realisierbare Utopie, und sie scheitert nicht an einer rein quantitativen Unmöglichkeit, ihr zu entsprechen.
Denn wer nicht in Not ist, dem muss man nicht helfen. Dies ist der Raum für Eigeninitiative, Eigenverantwortung, für private Kompetenz bei den Risiken des Lebens.

Aber man täusche sich nicht.
Die Not in Deutschland ist zwar eine andere als in Bangladesch, aber auch hier steht sie vor der Haustür. Schon die Kosten einer mittelschweren Krankheit kann ein einzelner nicht mehr aufbringen, auch wenn er gut verdient. Deswegen bleibt die solidarische Grundsicherung, auch und gerade im Gesundheitswesen, die Grundlage jeder Zivilisation.

Man kann ein Volk von 82 Millionen nicht zur Absicherung der Grundrisiken auf den Kapitalmarkt verfrachten.

Die private Versicherung hat ihren Sinn in ergänzenden Leistungen. In der Rentenversicherung bietet sich ebenfalls nur eine solidarische Lösung an, gerade wegen des demographischen Wandels. Man kann es machen wie in der Schweiz, wo alle ab einem bestimmten Alter Versicherungsbeiträge bezahlen müssen, oder wie in Schweden, wo die Rente über die progressive Einkommenssteuer finanziert wird.
Das beste ethische Konzept haben in der Rentenversicherung die Schweizer. Alle zahlen von allem für alle: der Millionär von seinen Kapitaleinkünften, der Gemeinderat von seinen Sitzungsgeldern, der Arbeitnehmer vom Lohn.
Die Beitragssätze sind niedrig, die Renten hoch, das System ist finanzierbar, denn das Modell realisiert den plausiblen biblischen Grundsatz, dass die wirtschaftlich Stärkeren zur Solidarität mehr beitragen müssen als die wirtschaftlich Schwächeren.

Diese ethisch begründete Solidaritätspolitik ist ökonomisch unschlagbar und allen anderen Finanzierungssystemen überlegen.
Eine humane, ökologisch nachhaltige zukünftige Weltwirtschafts- und Friedensordnung kann von der Utopie zur Realität werden, wenn sie auf diesen ethischen Fundamenten aufgebaut wird: dem uneingeschränkten Schutz jedes, aber auch wirklich jedes Menschen, der dienenden Funktion des Kapitals, der Pflicht, denen zu helfen, die in Not sind, wobei die Stärkeren mehr beitragen müssen als die Schwächeren.
Dieses ethische Konzept hat den weiteren Vorteil, dass es konsensfähig ist über ethnische, religiöse, nationale Grenzen hinweg.“

4. Geschichten erzählen als zutiefst menschliche EigenschaftNarrative für eine Nachhaltige Entwicklung

Gleichnis vom Kamel und dem Nadelöhr

„Menschen lieben Geschichten – Wir hören sie an, erzählen sie selbst und erfahren dabei viel über uns, andere und die Welt, in der wir leben.

Methoden, in denen Geschichten im Mittelpunkt stehen, bieten auch für die politische Bildung und das Thema nachhaltige Entwicklung ein großes Potential.
Das Erzählen von Geschichten ist eine zutiefst menschliche Eigenschaft.

Im Gegensatz zu analytisch-wissenschaftlichem Denken, das auf klar abgegrenzten Fakten beruht und zu eindeutigen Feststellungen führt, geht es beim narrativen Denken um den größeren Zusammenhang – um Kontext, Relevanz und Sinn. Beide Denkweisen bieten einen jeweils spezifischen Zugang zur Welt.

Es ist ein Wesensmerkmal unserer Kultur, dass wir dem analytisch-wissenschaftlichen Denken eine große Bedeutung zumessen.

Denn es hilft uns, die Dinge berechenbar zu machen, sie in den Griff zu bekommen. Das geht im Extrem so weit, dass nur wissenschaftlich-exaktes Wissen als wahr angesehen wird. Damit sind wir weit gekommen. Auf der anderen Seite erleben wir gerade die diffusen und vielschichtigen Angelegenheiten in unserem Leben (wie zum Beispiel die Liebe) als durchaus wahrhaftig – auch wenn sie hochgradig subjektive Erfahrungen darstellen und nicht exakt vermessbar sind. Angesichts der komplexen Struktur unserer Wirklichkeit lässt sich Exaktheit dementsprechend nur durch die Isolation des herausgegriffenen Sachverhalts erreichen. Mit dem fortschreitenden Herauslösen aus dem Kontext verringert sich aber auch der Relevanzgehalt, weil größere Beziehungs- und Bedeutungszusammenhänge verloren gehen. Um Sinn zu schaffen, brauchen wir den ’narrativen Modus‘.“

4.1 Die Gleichnissgeschichten Jesu

Der jüdische Rabbi Jesus Christus erzählte seinen Zuhörern und Nachfolgern eine Fülle von Gleichnissgeschichten die in ihrem Lebensbezug und ihrer Nähe zur Lebensrealität von jedem Menschen verstanden werden können.

Dabei geht es nicht darum diese Geschichten wortwörtlich zu glauben.
Dafür sind sie nicht tradiert. Vielmehr sind sie ein Anstoß zum lernen, zum selbstständigen denken.
Der Diskurs ist dabei am wichtigsten.
Die gemeinsame Auseinandersetzung mit dem was diese Geschichten, meinem Ich und dem Du des Mitmenschen, zu sagen haben.

4.2 Martin Buber : Der Mensch wird am Du zum Ich

Martin Buber

Der bedeutende Religionsphilosoph Martin Buber hat wesentlich zum jüdisch christlichen Dialog beigetragen. Er eröffnete damit auch den reichen Schatz der Geschichten und Weisheitssprüche der Chasidim.

4.3 Ein nachahmenswertes Beispiel narrativen nachhaltigen öffentlichen Handelns – Menschen mit Lernschwierigkeiten sind den Weg des öffentlichen Gesprächs, des konstruktiven Diskurses, gegangen.

Die Möglichkeitsdenker suchen seit Jahren den Weg des öffentlichen Diskurses, vor allem bei wichtigen sozialpolitischen und ethischen Themenbereichen.

Eines der drängensten Themen unserer Zeit, den konstruktiven Dialog zwischen Judentum, Christentum, Islam und Humanismus, sind im Jahre 2015 bei insgesamt 5 öffentlichen Veranstaltungen diskutiert worden.

Das Narrativ, die Geschichte dazu, war die Bearbeitung und öffentliche szenische Aufführung der Ringparabel in leichter Sprache aus dem Theaterstück Nathan der Weise von Gotthold Ephraim Lessing.

Gotthold Ephraim Lessing

Die Möglichkeitsdenker entwickelten sich aus verschiedenen Projekten zum freiwilligen bürgerschaftlichen von Menschen mit Lernschwierigkeiten in ihrer Region, begonnen im Jahre 2006.

Dort vollzog sich auch innerhalb des praktischen sozialpädagogischen Handlungsfeldes eine eindeutige Hinwendung zur Gemeinwesenarbeit.

Gleich zu Anfang entwickelte sich ein alle zukünftigen Bemühungen zusammenfassendes Narrativ.

Es war ein Gedicht von Rainer Maria Rilke einer der bekanntesten Lyriker der Romantik nämlich: „Werkleute sind wir…“
Es handelt sich dabei, das sei an dieser Stelle erwähnt auch um eines meiner Lieblingsgedichte.

Dass ein solches Gedicht, aus der bildungsbürgerlichen Hochkultur des ausgehenden 19. Jahrhunderts, zum vielfältig zitierten Narrativ wurde und all unsere Bemühungen und Entwicklungsschritte begleitete freut mich ganz besonders.

Wiederlegt es doch glänzend die oft geäußerte und ausgrenzende Auffassung, das solche lyrisch anspruchsvolle Texte diesem Personenkreis per se nicht zugänglich seien.

Auch aus diesem Grunde sei es auch an dieser Stelle wieder einmal zitiert:

„Werkleute sind wir………..*

Werkleute sind wir: Knappen, Jünger, Meister, und bauen dich, du hohes Mittelschiff.
Und manchmal kommt ein ernster Hergereister, geht wie ein Glanz durch unsre hundert Geister und zeigt uns zitternd einen neuen Griff.

Wir steigen in die wiegenden Gerüste, in unsern Händen hängt der Hammer schwer, bis eine Stunde uns die Stirnen küsste, die strahlend und als ob sie Alles wüsste von dir kommt, wie der Wind vom Meer.

Dann ist ein Hallen von dem vielen Hämmern und durch die Berge geht es Stoß um Stoß.
Erst wenn es dunkelt lassen wir dich los:
Und deine kommenden Konturen dämmern.

Gott, du bist groß. „

*Rainer Maria Rilke, 26.9.1899, Berlin-Schmargendorf

Gotthold Ephraim Lessing

Zitate:

„Und ist denn nicht das ganze Christentum aufs Judentum   gebaut

Es hat mich oft geärgert, hat mich Tränen genug gekostet, wenn Christen gar so sehr vergessen konnten, dass unser Herr ja selbst ein Jude war.“ 

Nathan der Weise  Klosterbruder

Gotthold Ephraim Lessing 

Geschichte des jüdischen Volkes

Diaspora

Von Allon Sander

Speyer war ein Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit

Geschichte des jüdischen Volkes – Völker – Kultur – Planet Wissen http://www.planet-wissen.de/kultur/voelker/geschichte_des_juedischen_volkes/pwiediaspora100.html 

Geschichte des jüdischen Volkes

Zionismus

Von: Allon Sander

Geschichte des jüdischen Volkes – Völker – Kultur – Planet Wissen http://www.planet-wissen.de/kultur/voelker/geschichte_des_juedischen_volkes/pwiezionismus100.html