Menschen in der Arbeitswelt

Ohne Humor und Ironie kann man gar nicht leben (Mauricio KAGEL, Komponist)

Von Dr. Wolfgang Näser, Marburg

Die meisten Menschen nehmen sich nur wenig Zeit für ein ebenso faszinierendes wie kostenfreies Studium: nämlich das ihrer Mitmenschen. Ein solchermaßen bewußt zugebrachter Tag in der Arbeitsstelle kann sich spannender gestalten als der berühmte Besuch im Zoo, gibt es doch unter den Zweibeinern ebenso skurrile und merkwürdige Typen wie in der sogenannten Tierwelt. Ganz allgemein ist es jedoch sehr nützlich, wenn wir kurz einhalten, uns einige Minuten der Besinnung gönnen und uns bewußt werden, mit wem wir es möglicherweise zu tun haben und welchen Standort wir selbst einnehmen in all dem menschlichen Mit-, Durch- und Gegeneinander.

Die folgenden Typ-Beschreibungen sind das Ergebnis eigenen Nachdenkens; meine Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die „männliche Form“ entspringt lediglich grammatischer Ökonomie; alle Typen sind jeweils in beiden Geschlechtern anzutreffen. Manchmal begegnen uns auch Menschen, die Charakteristika mehrerer „Typen“ in sich vereinigen.

Der Angeber 
Seine Arbeit ist der Nabel der Welt; sein Denken und Handeln setzen Maßstäbe, ohne ihn geht es nicht (denkt er). Indem er sich erhöht, erniedrigt er die übrigen.

Der Biegsame 
Nicht, wie man vermuten könnte, geistige Flexibilität zeichnet ihn aus, sondern ein Mangel an Rückgrat; eng verwandt mit dem -> Opportunisten und dem -> scheinbar Hilflosen, führt er ein schwer durchschaubaresamphibisches Dasein und wird erst dann gefährlich, wenn er sich mit dieser Existenzform ein hohes Amt gesichert hat. Dann nämlich erweckt er leicht den Anschein von Souveränität und Verläßlichkeit und verrät gerade die, die sich ob dieses schönen Scheins vertrauensvoll an ihn wenden. VORSICHT: eine ganz besonders heimtückische Kreatur!

Der Bollerkopf 
Seine Hauptqualifikation wird in dB (Dezibel) gemessen (Bel kommt von A.G. BELL, könnte hier auch auf „Bellen“ bezogen sein). Er ruiniert fast jede Telefonkapsel und jedes intakte Trommelfell; cholerisch, wie er ist, brüllt er seine Ansichten heraus („Wer schreit, hat Unrecht“ gilt hier nicht immer!) und ist dann meist schnell wieder im Lot, weil er seinen Psycho-Müll vokal entsorgt hat. Aus diesem Grunde frißt er nie etwas in sich hinein, wird uralt und „erfreut“ noch in hohem Alter seine Mitmenschen, allerdings jetzt als Pensionär. Die im Grunde ehrlichen „Brüll-Affen“ sind meist nicht nachtragend.

Der Delegator 
Selbst die schwierigsten Arbeiten übernimmt er, verspricht vollmundig deren optimale Erledigung – und gibt sie an Dritte weiter. Er bekommt nie schmutzige Hände: er, der Koordinator und Organisator. Es gibt viel zu tun: verteilen wir es.

Der Fiesnickel 
Bisweilen auch Ekel oder (auf tieferer Sprachebene) Kotzbrocken genannt. Nach dem Motto „Wenn es mir schlecht geht, warum soll es dann anderen gut gehen?“ stets bestrebt, die eigene schlechte Laune auf die Mitmenschen zu übertragen (Giftgallen-Transfusion) oder Kollegen bzw. Untergebenen das mit gutem Willen zu bewältigende Arbeitsleben zur Hölle zu machen. F. sind manchmal gleichzeitig Workaholics, da sie zu Hause, also im Privatleben, nichts zu melden haben.

Der scheinbar Hilflose 
Er kann keinen Nagel in die Wand schlagen und hat zwei linke Hände: jede von ihnen wäre glatt gut genug, einen Meineid zu schwören. Sein Leben gründet darauf, daß ihm andere zuarbeiten; so ist er groß geworden und hat die, die ihm halfen, verbraucht am Wegesrand zurückgelassen. Sein harmloses Lächeln wiegt die Mitmenschen in Sicherheit, aus der heraus sie ihm selbst ihre intimsten Nöte und Geheimnisse anvertrauen, um sich damit ihr eigenes Grab zu graben. Denn der scheinbar so naive Lächler hat es faustdick hinter den Ohren.

Der Idealist 
Oft äußerst sensibel, nicht selten auch künstlerisch begabt und offen für die Mitmenschen und ihre Probleme. Der Idealist leidet an dem ihn umgebenden Unrecht. Er denkt und redet gradlinig, sitzt oft zwischen den Stühlen, leidet physisch und psychisch an seiner Umgebung, bringt es nur dann zu hohen Würden, wenn ihm irgendwann einmal Gleichgesinnte unter die Arme gegriffen haben. Ansonsten verharrt er meist im Mittelfeld und wird von Kollegen und Vorgesetzten gleichermaßen verkannt.

Der Initiative-Blocker 
(-> Bollerkopf, -> Fiesnickel, -> Statistiker) wartet stets ab, bis ein Mitarbeiter sich durch Eigeninitiative fast profiliert hat, um dann ex officio („das gibt das Amt her“) diese Initiative abzuschmettern. Ziel ist die Konstanz derMediokrität, die auch im universitären Rahmen (leider) oft sehr guten Nährboden vorfindet. Hilfe findet der IB oft bei besonders stromlinienförmigen -> Opportunisten. Auf Solidarität können seine Opfer schon deshalb kaum rechnen, weil in der Regel viele Bequeme den Initiative-Entfaltern nicht das Schwarze unterm Nagel gönnen und es aus einer anderen Art von Bequemlichkeit (sagen wir besser: aus Feigheit) und/oder Gleichgültigkeit vorziehen, im Falle des Falles wegzusehen/-zuhören und/oder den Mund zu halten. Auf diese Weise und nur so können Diktatoren jeglicher Art und Couleur zu Macht und Ansehen gelangen. Heinrich MANN („Der Untertan“) läßt grüßen: das gilt auch im nächsten Fall.

Der Karrieremacher 
Auch Erfolgsmensch oder Macher genannt. Accessoires: Handy, Samsonite-Koffer (mit Notebook), Nadelstreif und BMW. Jung, dynamisch, sportlich (Jogging), informiert, eloquent (eingebaute Datenbank für Profi-Phrasen) und gewinnend (Parties). Egozentrischer Utilitarist. Beurteilt die Menschen nach Man-Power. Verhalten ist für ihnStrategie. Einzig um schnellen Aufstieg bemüht und meist mit Hilfe zahlreicher Zuarbeiter bewältigt er die Stufenleiter in Rekordzeit. Jedes Stadium ein Lernschritt, jeder Eindruck eine auszuwertende Information. Gut nur das, was nützt. Gefühl ist out. Der einprogrammierte Kurs führt vorbei an den Menschen und deren Problemen. Nach Absolvieren aller Hausaufgaben residiert der KM in saalartigem Ambiente vor hochglanzpoliertem De-Luxe-Schreibtisch und lenkt mit einsamen Entscheidungen sein Imperium.

Weibliche Variante ist die sogenannte Karrierefrau. Ihre Devise: eine Frau muß immer besser (in diesem Falle rücksichtsloser) als ein Mann sein, um akzeptiert zu werden. Irgendwann, wenn überhaupt, stellt sie fest, daß weibliche Grazie und frauliche Würde auf der Strecke geblieben sind und daß das, was in dem Nadelstreifenkostüm steckt, ein nur etwas anderer Mann ist. Schade.

Der Kumpel 
Offen und ehrlich, immer zu Gesprächen und Hilfe bereit, stellt er die eigenen Interessen zurück, wenn es um die Kollegen geht. Der Typ, mit dem man Pferde stehlen möchte. Hat immer einen Kaffee, wenn es einem dreckig geht. Ist die gute Seele (s. auch dort) im Betrieb, hat selten Aufstiegschancen, weil er sich keine Zeit nimmt, an sein Fortkommen zu denken. Oft in Personalvertretungen anzutreffen.

Der Motivator 
Der Idealtyp eines Vorgesetzten (oder Team-Kollegen). Erkennt intuitiv die Begabungen und Neigungen seiner Mitmenschen und bestärkt sie darin, diese zum Wohle des Ganzen optimal einzusetzen. Obwohl selbst vielbeschäftigt, hat er doch ab und an Zeit für ein paar freundliche Worte: zur rechten Zeit und am rechten Ort.

Der Naive 
Wie ein Traumtänzer geht er durch’s Leben, immer den passenden Schutzengel neben sich; er hat noch die in Kleists „Marionettentheater“ erwähnte Unschuld. Argwohn, Mißtrauen, Intrigen sind ihm fremd, und so entgehen ihm auch Schlechtigkeiten, die für jedermann außer ihm gut sichtbar direkt vor seiner Nase passieren. Die Naivität ist unbewußt ein hervorragender Schutz und garantiert ein bis ins hohe Alter unversehrtes, stabiles Nervensystem. Negativ: der Naive wird oft unbewußt zum Werkzeug von Intrigen.

Der Opportunist 
Er braucht keinen Windkanal: sein CW-Wert übertrifft die kühnsten Ingenieurträume, denn er ist super-stromlinienförmig und aalglatt. Er tut immer das, was man von ihm verlangt, begehrt nie auf, paßt sich an, sein Fähnchen eilt der Winddrehung um eine Zehntelsekunde voraus. Wenn es opportun ist, verrät oder übergeht er die eigenen Kollegen.

Der Pedant 
Er bedenkt und bearbeitet alles bis ins Mikroskopische, wird deshalb selten fertig, beklagt sich ständig überUnordnungGammelei und Nachlässigkeit im Kollegenkreis, ordnet in psychopathologischem Zwang auf Kollegentischen die Bleistifte zur Parade-Formation, vergißt über seinem Genauigkeitsfimmel, daß es noch Menschen um ihn herum gibt und daß diese Sorgen haben, um die er sich vielleicht auch etwas genauer kümmern könnte.

Die Quasselstrippe 
Eine unaufhörlich und meist über andere redende Person. Ihr Arbeitsgerät ist der Telefonhörer, den sie (nach pharaonischem Brauch) als Beigabe mit ins Grab bekommt. Die QS interessiert sich für alles und jeden, ist eine wandelnde Enzyklopädie ihrer Umwelt, kennt die Kollegen und ihre Familien, ist als Info-Börse Anlaufstelle fürSorgenNöte und Vertraulichkeiten aus dem Kollegenkreis. Auch in populären TV-Serien (Familie Hesselbach, Büro-Büro) und -sketchen immer wieder gern karikiert, stirbt diese meist liebenswerte Spezies allmählich aus, findet sie doch weder Platz noch Nahrung in den unpersönlich-kalten Glitzerwelten und competence centersunserer Technokratie.

Der Querulant 
Mit dem Bollerkopf wesensverwandt, hat er eine Meisterschaft entwickelt darin, es mit jedem nur möglichen Mitmenschen zu verderben. „Viel Feind, viel Ehr“ ist seine Maxime.  

Der Resignator 
In einem langen Arbeitsleben wurde er so oft übergangen, verkannt und gedemütigt, daß er es aufgegeben hat, irgendwelche Initiativen zu entfalten oder mit den Vorgesetzten über seine Lage zu sprechen. Er, der für seine Arbeitsstelle möglicherweise so Wertvolle, Ergiebige, werkelt still und apathisch vor sich hin, offenbart sich gelegentlich seiner Mitwelt, die dann meist Sympathie heuchelt und froh ist, daß es nur ihn getroffen hat.

Der Schweigsame 
Ihn merkt man kaum. Der Schweigsame kommt, arbeitet, geht, erscheint nie zum Tee, im Grunde weiß niemand so recht, was er tut. Das ist schade, könnte er doch aus seinem Tun, Handeln, Beobachten und Fühlen heraus vieles Gute und Interessante an seine Mitmenschen weitergeben. Stille Wasser gründen tief!

Die gute Seele 
Diese Spezies ist meist weiblich; unzählige Sekretärinnen und Sachbearbeiterinnen überstrahlen die Arbeitswelt mit der milden Sonne eines ausgesprochen lieben Wesens. Gäbe es sie nicht, so hätte möglicherweise so manche im Dienst gequälte Mensch allen Grund, sich vor oder hinter einen Zug zu werfen. Das Lächeln einer guten, lieben Seele versetzt mehr Berge als eine ganze Bibliothek voller abstruser, als Resultat geistiger Blähungen freigesetzter Theorien.

Der Sensible 
Oft mit hochgradig künstlerischen Neigungen und Begabungen gesegnet, hungert der sensible Mensch in seinem Arbeitsfeld nach einfühlsamer Behandlung und dem Kontakt mit Gleichgesinnten, doch dieses Verlangen bleibt fast immer unerfüllt. Der sensible Mensch erduldet still alle Demütigungen (für die er eine ideale Übungs-Zielscheibe darstellt), sein Nervensystem ist bald zerrüttet, gravierende Gesundheitsschäden und ein frühes Siechtum sind die Folge.

Der Statistiker 
Ihn gibt es sowohl als Vorgesetzten wie als Mitarbeiter. Ersterer will zu allem und jedem eine Aufstellung (noch gestern) und kontrolliert alles: vom Fenster-Schließen bis hin zum Klorollenverbrauch; letzterer zählt und dokumentiert alles, bis hin zur Anzahl seiner Beiwohnungen; hat er Glück, avanciert er in eine Führungsposition.

Der Tüftler 
Nichts ist unmöglich, seine Devise. Kein Problem, das nicht gelöst werden kann. Der Wissenschaftler muß wissen, was zu wissen ist, und alles machen, was zu machen ist, sagte sinngemäß Edward TELLER, der Konstrukteur der Wasserstoffbombe. In seiner genialischen Verbissenheit steht der akademische Tüftler fernab von jeder gesellschaftlichen Verantwortung, ist williges Werkzeug skrupelloser Politiker. Das Problem fasziniert, die Lösung befriedigt, die Bombe fällt, und schon ist Hiroshima ausradiert.

Den Tüftler gibt es auch in einer geisteswissenschaftlichen Version. Er sitzt in seinem Elfenbeinturm und zählt sprachliche oder literarische Fliegenbeine, während „draußen“ brutale Kriege geführt und politische Lösungen, zu denen er sein geistiges Potential beisteuern könnte, nicht gefunden werden.

Der Wichtigtuer 
Wesensverwandt mit dem -> Angeber. Für ihn gilt das Axiom, daß manche Menschen nur in aufgeblasenemZustand sichtbar werden. Er macht aus allem einen coitus principalis *). Es gelingt ihm, alles hochzustilisieren: zuallererst die eigene Arbeit, aber auch jeden kleinsten Zwischenfall, der durch sein Zutun kriegerische Dimensionen annimmt.

Der Workaholic 
Dieser Suchtkranke lebt, um zu arbeiten. Die Arbeitsstelle ist oft Fluchtpunkt einer Existenz, die daheim unter dem Pantoffel steht nach dem Motto „Papa hat bei uns nichts zu sagen“. Der W. schuftet wie ein Berserker, auf seinem Schreibtisch türmen sich „gewachsene Haufen“ unerledigter Vorgänge, das WühlenSortierenAbzeichnenund Stempeln sind sein Lebens-Elixier. Über seiner Arbeit vergißt er, daß es Kollegen gibt.

Der Zeitlose
Scheinbar träumerisch durchs Leben (und die Arbeit) gehend, koppelt er sich ab von allen technischen Innovationen, die – zu hause wie im Beruf – die Arbeit erleichtern, neue Horizonte eröffnen und Erkenntnisse bringen könnten. Der Z. hält wenig von den sogenannten Neuen Medien, erzählt stolz, daß er daheim entweder keinen Fernseher hat oder ihn so gut wie nie benutzt; im Büro lehnt er Computer strikt ab (und nimmt daher verfügbare Etat-Mittel nicht in Anspruch), hält natürlich auch nichts vom Internet (einer Brutstätte von Kinder-Pornographie und sonstigen Verbrechen, hat er irgendwo gehört), von E-Mail und all diesem Zeugs. Aufgrund seiner gehobenen Position hat er das zweifelhafte Glück, sich solche Standpunkte leisten zu können. In den oftesoterisch angehauchten, realitätsfernen Zirkeln, in denen er privat verkehrt, hat er sich mit seinerTechnikfeindlichkeit ein gewisses Maß von Achtung und Anerkennung erworben.
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*) Fürstenbeischlaf

(c) Wolfgang Näser 8/96 ff.

http://staff-www.uni-marburg.de/~naeser/welc.htm

Christen und Muslime feiern gemeinsam

Gemeindefest der evangelischen Kirchengemeinde Oberdieten am 28.08.2016.

Christen und Muslime feierten ein gemeinsames ein Fest.

Mehr als 100 Mitglieder der evangelischen Kirchengemeinde Oberdieten feierten mit 20 Flüchtlingen und deren Familien in Oberdieten.

So haben Christen und Muslime an diesem Tage ein gemeinsames Fest gefeiert.

Das ist in der heutigen Zeit doch ganz wunderbar.

Und setzt ein Zeichen für Freundschaft, Frieden und Geschwisterlichkeit unter den Menschen.
 Wenn auch in diesem kleinen Rahmen.

Aber auch dabei gilt der Satz:

„Große Türen drehen sich in kleinen Angeln.“

Zu diesem Thema siehe auch das folgende Link:

Du sollst den Flüchtling lieben! « Dei Verbum http://www.dei-verbum.de/du-sollst-den-fluechtling-lieben/

Dietrich Bonhoeffer Zitate

Zitate:

„Gott gibt Zeiten der Sorge und Angst und Gott gibt Zeiten der Freude.“

„Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern auf ihn verlassen.“

„Es gibt in der ganzen Weltgeschichte immer nur eine wirklich bedeutsame Stunde – die Gegenwart. Wer aus der Gegenwart flieht, flieht den Stunden Gottes.“

„In der Dankbarkeit gewinne ich das rechte Verhältnis zu meiner Vergangenheit. In ihr wird das Vergangene fruchtbar für die Gegenwart.“

„Nur die Nacht ist des Freien Freund“ Sophie Scholl

Nachtgedanken:

Aufgang oder Untergang

Nenn ich dich Aufgang oder Untergang?

Denn manchmal bin ich vor dem Morgen bang
und greife scheu nach seiner Rosen Röte –
und ahne eine Angst in seiner Flöte
vor Tagen, welche liedlos sind und lang.

Aber die Abende sind mild und mein,
von meinem Schauen sind sie still beschienen;
in meinen Armen schlafen Wälder ein, –
und ich bin selbst das Klingen über ihnen,
und mit dem Dunkel in den Violinen
verwandt durch all mein Dunkelsein.

Rainer Maria Rilke

Nachtgedanken

Weltenweiter Wandrer walle fort in Ruh…
Also kennt kein andrer
Menschenleid wie du.

Wenn mit lichtem Leuchten
du beginnst den Lauf.
schlägt der Schmerz die feuchten
Augen zu dir auf.

Drinnen liegt – als riefen
sie dir zu: versteh! –
tief in ihren Tiefen
eine Welt von Weh…

Tausend Tränen reden
ewig ungestillt, – –
und in einer jeden
spiegelt sich dein Bild.

Rainer Maria Rilke


Nacht ist schon hereingesunken,

Schließt sich heilig Stern an Stern,
Große Lichter, kleine Funken
Glitzern nah und glänzen fern;
Glitzern hier im See sich spiegelnd,
Glänzen droben klarer Nacht,
Tiefsten Ruhens Glück besiegelnd
Herrscht des Mondes volle Pracht

Johann Wolfgang von Goethe

So wunderbar Gaga……

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Angeregt durch ein Studiolo Treffen des Marburger Bachchors Anfang Mai habe ich mich mit Dadaismus beschäftigt.
Und bin fasziniert.
Dadaismus: So wunderbar gaga | ZEIT ONLINE:
http://www.zeit.de/2016/06/dadaismus-kunst-avantgarde-hugo-ball-zuerich-ausstellung

Weiterlesen

Weil wir Großeltern sind

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Urinstinkt

Da ich selbst nun Opa bin,
sehe ich den tiefen Sinn,
den das Leben mit sich bringt.

Alles fließt, nichts bleibt bestehn,
stetig muss es weiter gehn,
bis das Letzte auch gelingt.

Liebe lockt das Sein hervor,
Kinder sind der Lustfaktor,
der uns alle wohl durchdringt.

Mütter bringen sie zur Welt,
Mutterliebe mehr als Geld,
wenn ein Wiegenlied sie singt.

Neue Märchen werden wahr,
Mütter sind stets wunderbar,
wenn das Baby an ihr trinkt.

Wächst der Spross aus ihrem Schoß,
bis er selbstständig und groß,
bleibt in ihr der Urinstinkt.
Roland Pöllnitz

Liebe Hinterländer Christen Teil 3

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Vor etwas über 50 Jahren hat der große Theologe und ‚Kirchenvater des 20. Jahrhunderts‘, Karl Barth, am Vorabend seines Todes folgende Sätze gesagt, die aktueller nicht sein könnten: „Ja, die Welt ist dunkel. …. Nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie!

Denn es wird regiert!

Nicht nur in Moskau oder in Washington oder in Peking, sondern es wird regiert, und zwar hier auf Erden, aber ganz von oben, vom Himmel her!

Mögen diese Zeilen für für
Zitate:
„Ein wirklicher Christ muß Sozialist werden…“*

„Das Wiedererstehen Israels als Volk und Staat muss als ein wirkliches Wunder genannt werden.“

„Der erste und grundlegende Akt theologischer Arbeit ist das Gebet.“

„Der Mensch schreit nach Gott, nicht nach einer Wahrheit, sondern nach der Wahrheit, nicht nach etwas Gutem, sondern nach dem Guten, nicht nach Antworten, sondern nach der Antwort, die unmittelbar eins ist mit der Frage… Nicht nach Lösungen schreit er, sondern nach Erlösung.“

„Der Mensch, der nicht Mitmensch ist, ist Unmensch.“

„Die christliche Gemeinde soll lieber dreimal zu viel für die Schwachen eintreten als einmal zu wenig, lieber unangenehm laut ihre Stimme erheben, wo Recht und Freiheit gefährdet sind, als etwa angenehm leise!“

„Die Kirche ist nicht irgend einem Naturrecht, sondern ihrem lebendigen Herrn verpflichtet. Sie denkt, redet und handelt darum nie „prinzipiell“. Sie urteil vielmehr geistlich und darum von Fall zu Fall.“

„Freude kann man nur haben, indem man Freude macht.

„Gott begabt nicht, ohne zu berufen – und er beruft nicht, ohne zu begaben.“

„Göttliche Offenbarung ist das Aufgehen einer Tür, die sich nur von innen, nicht von außen öffnen lässt.“
Karl Barth

Hände zum Gebet falten ist der Anfang eines Aufstandes gegen die Unordnung der Welt.
Karl Barth

„Sich freuen heißt: Ausschauen nach Gelegenheit zur Dankbarkeit.“

„Wer die Osterbotschaft gehört hat, der kann nicht mehr mit tragischem Gesicht umherlaufen und die humorlose Existenz eines Menschen führen, der keine Hoffnung hat.“

Wie man beten soll, das steht in der Bibel; und was man beten soll, das steht in der Zeitung.
Wie wunderbar, dass ich dazu nicht zu gering bin, dass Gott mich braucht.
Karl Barth

„Wir beantworten Christi Ruf nicht mit ´wahr´ oder ´falsch´, sondern mit ´ja´ oder ´nein´.“

„Wir sind Theologen und sollen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können nicht von Gott reden. Wir sollen beides wissen und Gott die Ehre geben.“

„Wir werden in der Bibel immer gerade so viel finden, als wir suchen: Großes und Göttliches, wenn wir Großes und Göttliches suchen; Wichtiges und Historisches, wenn wir Wichtiges und Historisches suchen; überhaupt nichts, wenn wir überhaupt nicht suchen!“

Karl Barth forderte kurz nach seinem Eintritt in die Sozialdemokratische Partei der Schweiz im Februar 1915:

*„Ein wirklicher Christ muß Sozialist werden (wenn er mit der Reformation des Christentums Ernst machen will!). Ein wirklicher Sozialist muß Christ sein, wenn ihm an der Reformation des Sozialismus gelegen ist.“

Rachels Tränen

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Judentum
Frauen in der Heiligen Schrift

Wir wissen sehr wenig über die Gefühle oder das Innenleben der Frauen in der Bibel. Indizien für das, was sie empfunden haben können, sind äußerst unpräzise und aus eben diesem Grunde umso kostbarer. Die große biblische Romanze zwischen Jakob und Rachel beispielsweise ist in der Hauptsache Jakobs Liebesgeschichte.

Er verließ das Heilige Land in seinen Hochzeitsgewändern, sagt der Sohar, und hielt nur einmal inne, weil er eine wunderbare Vision hatte von der Leiter, die von Himmel bis zur Erde herabreicht mit Engeln, die darauf hinauf- und herabsteigen, und ging weiter wie ein mythologischer Sonnengott zu den Königreichen der Nacht, bis er an einem Brunnen vorbeikam, der für ihn ein Zeichen dafür war, daß er hier (wie auch bereits seine Eltern vor ihm) seine ihm vorbestimmte Braut treffen würde.
Kaum daß er seine Augen auf Rachel heftete, als sie ihm mit ihren Schafen entgegenkam, stand er auf und hob mit einer Hand den Stein, den alle Schäfer in der Umgebung nicht aus dem Weg räumen konnten und ließ so das Wasser im Brunnen frei fließen. Und die Wasser des Brunnens stiegen zu ihm auf, ein Zeichen der Zuneigung gegenseitiger Anziehung mit eben jener Frau, die den Schauplatz betritt. Rachel war wunderschön von Gestalt und sah hinreißend aus. Und Jakob liebte Rachel so sehr, daß er bereit war, sieben Jahre für ihren Vater zu arbeiten, um die Erlaubnis zu erhalten, sie zu heiraten. In alledem finden wir keinerlei Hinweis auf das, was Rachel gefühlt haben mag, sondern können lediglich vermuten, daß sie den Kuß, mit dem er sie begrüßte, nicht zurückwies, und sich über die Aufmerksamkeit des Neukömmlings freute.

Der Maharal fragt, warum Rachel mehr als alle anderen Matriarchinnen weint. Woraus ersehen wir, daß sie tatsächlich weinte? Während Jakob und Lea beide an verschiedenen Stellen in der Geschichte von ihren Tränen überwältigt werden, sind Tränen kein Charakteristika Rachels. Im Gegenteil: sie ist eine Gestalt der Freude. Beide Schwestern waren gleich schön, heißt es im Midrasch Rabba, aber Rachel, Jakobs Verlobte, strahlte vor Glück, als sie von all den wunderbaren Eigenschaften ihres zukünftigen Ehemannes hörte. Lea aber, die mit Esau verlobt war, weint sich die Augen aus und ließ damit ihre Schönheit vergehen, als sie an der Wegesgabelungsaß und dem Gerede über seine schlechten Taten lauschte. Als der Baal Schem Rabbi Nachum von Tschernobyl fragte, welche Schwester er denn bevorzuge, ob es Rachel sei oder Lea, antwortete ihm dieser nur ausweichend: Man kann keine herabstufen, denn beide sind sie unter unseren Stammüttern aufgezählt, und daher sei er gezwungen, diplomatisch zu sein. Also sprach er: „Was Lea durch ihre Tränen erreichte, das gelang Rachel mit ihrer Freude“. „Denn die Kinder der Verzweifelten sind zahlreicher als die Kinder der verheirateten Frau, spricht der Herr“. (Jesaja 54:1)

In der Bibelerzählung geschieht oft eine Art stiller Umsturz. Öfter ist es der jüngere, der den Vorzug genießt. Und deshalb, als die jüngere Tochter Labans (Rachel) mit dem jüngeren Sohn von Labans Schwester Rivka verlobt war, war in diesem Falle sie die von Gesetz wegen eher Berechtigte (und daher die Zufriedenere). Man könnte die Vermutung haben, daß durch die doppelte Subversion hier die Ältere, weil „verzweifelt“ und ungeliebt, den Preis gewonnen hätte. Aber das geschieht tatsächlich. Über die meiste Zeit ihres Lebens behielt Rachel ihre fröhliche Natur, während Leas Tränen diese eine Position errangen und die Tore des Mitgefühls zu Rachels und Gottes Herz weit öffneten.

Eifersucht

Ein Midrasch sagt: „Als Gott voller Gnade Jakobs lieblose Haltung gegenüber Lea sah, da sprach Er: Dafür gibt es nur ein Heilmittel, nämlich: Söhne. Söhne werden ihn sie begehren lassen“. Dazu bestimmt, den Esau zu heiraten und von Jakob nicht geliebt, „weinte“ Lea also und ihre Tränen sind Gebet von solcher Intensität, daß Gott voller Gnade das Schicksal zu ihren Gunsten wandelte. Nicht nur daß sie Jakob heiratet, sie stellt auch die Mehrheit der Stämme. Sie macht so viel Aufhebens darum, daß die ganze Welt ihr entgegenkommt. Sie nimmt sogar das „Vorrecht über ihre Schwester “ ein: Jakobs vorbestimmte Frau und Mutter der Stämme. Die Priesterschaft war die ihrige, das Königtum, und ihr hätte es geziemt, in der Begräbnisstätte der Paare neben ihrem Gatten zu liegen. Wenn jedoch einmal die „Verzweifelte“ es zu Kindern und zu Eheglück gebracht hat und die unfruchtbare Rachel Gefahr läuft, wie ein Lumpen dem lüsternen Esau überlassen zu werden, wer hat dann jenen privilegierten Status der Verstoßenen mit dem gebrochenen Herzen, deren Gebete Gott erhört? Von Anbeginn besitzt Rachel solch wundervolle Grazie, daß sie nur über die Bühne schlendern muß, um Jakobs Herz zu erringen, und daherfindet es bei ihr weniger Wertschätzung. Hier scheint sie indes nur den Vorteil zu genießen. Und tatsächlich gewinnt Rachel, Jakobs Geliebte, das Moment der Veränderung ihres Selbst nicht aus dieser Beziehung. „Und als Rachel sah, daß sie Jakob keine Kinder geboren hatte, wurde sie eifersüchtig auf ihre Schwester“. Rachel erschmeckt erstmals die Bitterkeit des Neides, als sie sieht, daß ihre Schwester einen Sohn nach dem anderen gebiert, während sie selbst kinderlos bleibt. Dies ist das erste Gefühl, das wir in ihr sehen, eine Belebung ihrer Natur und eine Fähigkeit zur Empfindung. Und in dieser Hinsicht ist das gut. Erst bei der Geburt von Leah messianischem vierten Sohn, wird Rachel ins Leben geworfen, als sie ihre eigene Lage erkennt und über das, was sie dabei sieht, nicht glücklich ist. Erst hier und nicht vorher.

Eifersucht mag für die abendländischen Augen nicht eben die angenehmste Eigenschaft sein, in Rachel jedoch, die bis dahin ein eher oberflächliches glückliches Leben geführt hat, ist es genau dieser Punkt der Ablehnung (ein verschlossener Schoß), in dem ihre Augen sich für die Realität öffnet, und sie wird daraufhin fähig, ihre eigene Persönlichkeit zu entfalten und damit ihre Bestimmung zu erkennen. Normalerweise eröffnet sich die Möglichkeit zur Veränderung und Erhebung der Persönlichkeit uns nicht in dem, was uns leicht zufällt, sondern in dem, was am schwersten ist. Einer der seltenen Dialoge zwischen Jakob und einer seiner Frauen, in dem wir wirklich die Stimme der Frau hören, ist Rachels verzweifeltes Flehen um Kinder: „Gib Kinder, oder ich bin bereits tot!“ (oder ich habe allen Sinn im Leben verloren).

Männlichkeit

Es ist unmöglich sich vorzustellen, daß Jakob nicht darum gebetet haben kann, er

und Rachel mögen gemeinsame Kinder haben. Dies war sein Traum von Anfang an. In ihrer Schönheit sah er die überirdischen Zwölf Stämme verkörpert. Als er aber sah, was tatsächlich passierte, wurde er fatalistisch mit Blick auf das, was Gott an ihn austeilte, was sich für ihn vielleicht leichter gestalten könnte, denn sein Bedürfnis nach Kindern wurde gestillt und er mußte also nur mit der Enttäuschung fertig werden, daß er diese Kinder nicht mit der Frau haben konnte, die er am meisten liebte. Die Qualen seiner Geliebten erreichen sein Herz nicht. Vielmehr entbrennt er im Zorn gegen sie, sondert sie aus und beschämt sie: „Was willst du von mir? Bin ich es oder Gott, der dir die Leibesfrucht verweigert? Dir verweigert er sie und nicht mir. Ich habe meine Kinder…“.

Jakob hat sich schon einmal so verhalten. Als sein Bruder vor Hunger weinte, da begann er zu verhandeln, statt ihm sofort zu Hilfe zu eilen. Und dies ließ seinen Bruder zu seinem Todfeind werden. Genau die selbe Behandlung, die er seinem Bruder zuteil werden ließ, teilt er nun an seine geliebte Rachel aus, an den Menschen, den er am meisten zu lieben behauptet! Wie weit ist Jakob von seiner ursprünglichen Vision seiner selbst als einem fahrendem Ritter entfernt, welcher der lieblichen Schäferin zur Hand geht! Jener, der von Rachel als der Mutter aller seiner Kinder träumte, die alle nach ihrem Bild und von ihrer überirdischen Schönheit sein sollten, ist letztlich ein Realist geworden! Er hat ihre getrennten Schicksale angenommen. Was für eine Liebe ist das? Die selbe Art Liebe, die Jakob erlaubt, Lea mit Rachel zu verwechseln, eine an Bedingungen geknüpfte Liebe, die deshalb verkleidet und enttäuscht werden kann, und weniger die Empathie mit Gefühlen und dem Leiden darin.

Sicherlich arbeitete Jakob sieben Jahre, um dafür Rachel einzutauschen, aber es war eine Erweiterung seiner eigenen Männlichkeit. Er selbst gesteht ihr keine sieben Jahre zu. Während Liebe oft bedeutet, daß man auf die Bedürfnisse des anderen hört und seine eigenen Lebensenergien zügelt, um Platz für einen völlig anderen Blickwinkel zu schaffen und sich einer selbst auferlegten Zurückhaltung in genau dem selben Maße zu üben, wie Gott nach den Worten der Mystiker Platz schafft für die „Andersartigkeit“ der Schöpfung! Wenn diese Art der Zurücknahme seiner Selbst um der Liebe willen demnach weiblich ist, ist sie gleichermaßen göttlich! Und es ist eine, die Rachel hat und weniger Jakob. Wenn sie noch nicht die Gabe der Tränen besitzt, erlebt sie Tränen stellvertretend für andere, und ihr Herz ist offen für das Leiden ihrer Mitmenschen.

Die Gabe der Tränen

Nicht nur hat Rachel ihre Unfruchtbarkeit überwunden und wurde Mutter, sie gebar auch Jakobs gewollten und begehrten Erstgeborenen (Josef), der seiner Mutter zur Seite eilte, um sie vor den lüsternen Blicken Esaus zu schützen. Und sie verhalf auch den Zwölf Stämmen zu ihrer Vollständigkeit. Und als nun Rachel sich anschickte, ihrem Sohn einen Namen zu geben und sagte: „Der Herr hat weggenommen meine Schmach. Möge Gott mir einen weiteren Sohn schenken“, da wußte Jakob, daß sie es sein würde, die dazu bestimmt war, die Zahl der Stämme zu vervollständigen, und daß sie selbst nicht überleben würde. Lernt nun Rachel erst zum Ende ihres Lebens über die Gabe der Tränen? Der Maharal sieht einen Keim dessen bereits im ersten Zusammentreffen der Liebenden. Nach den Worten des Sohar symbolisierte bereits das Ansteigen des Wassers bei ihrem ersten Zusammentreffen die vollkommene gegenseitige Zuneigung von Mann und Frau, und es bestand vollkommene Einheit zwischen ihnen, die allein der vollkommenen Einheit Gottes mit der Schechina vergleichbar ist, in einer Zeit, bevor Er die Welt erschuf. Die Augenblicke der Zeit stürzten zusammen und wurden eins im Anblick einer solch idealen Zusammenkunft. Als Jakob Rachel küßte und in Tränen ausbrach, war er wahrscheinlich nicht der einzige, der weinte, und es bildete sich da ein Ozean von Tränen (was einmal die Wasser des Brunnens gewesen waren) zwischen ihnen. Nicht nur Jakob, sondern auch Rachel, nach dem Maharal, spürte nach einem Moment überwältigender Einheit das Abebben der Flut, der Trennung und des Bruchs, die jeden idealen Zustand auf dieser Welt überkommt. Und dann, als Jakob sah, was in der Zukunft geschehen würde, daß es zur Trennung kommen und ein Exil geben würde, und daß sie letzten Endes nicht mit ihm begraben werden würde, da Rachel eine Prophetin war; und dann sah in das tiefste Herz der Wirklichkeit. Lacrimae rerum. (Um der Tränen willen Anm. d.Übers.) Und was sie sah, war der Zerfall und das Fließen, die beide ein untrennbarer Teil der Natur dieser Welt sind, die „Tränen“ im allertiefsten Grund der Dinge.

Der Artikel ist ein Ausschnitt aus einem längeren Aufsatz, der auch Grundlage für Freema Gottliebs Workshop bei Bet Debora war. Aus dem Englischen übersetzt von Esther Kontarsky.

Freema Gottlieb wurde in London geboren und wuchs in Schottland auf. Sie lehrte Midrasch-Literatur an verschiedenen jüdischen Einrichtungen in New York. Erst vor kurzem war sie Gastdozentin für Midrasch an der Karlsuniversität in Prag. Sie ist Autorin dreier Bücher, u.a. „The Lamp of God: A Jewish Book Of Light“ (Aronson; New York).
Quelle:

http://www.hagalil.com/bet-debora/journal/gottlieb.htm

Löwen und Schafe

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Das Schicksal will, dass die großen Begabungen für gewöhnlich eher Rivalen als Freunde sind; sie wachsen und leuchten für sich aus Furcht, einander zu beschatten. Die Schafe müssen sich zusa…

Quelle: Löwen und Schafe

Der Osterspaziergang

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Vom Eise befreit sind Strom und Bäche

Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.

Von dort her sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur.

Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlts im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen!

Aus dem hohlen finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.

Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden:
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.

Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß in Breit und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.

Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:

Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!

(Johann Wolfgang von Goethe, Faust I)