Predigt zur Jahreslosung 2026
Gehalten von Pfarrerin Tatjana Frenzel
Evangelische Kirchengemeinde Wolzhausen am 31.12.26
Evangelische Kirche Wolzhausen
Die Gnade unseres HERRN Jesu Christi, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
die Jahreslosung für das Jahr 2026 lautet:
„Siehe, ich mache alles neu.“
Das klingt groß. Fast zu groß.
Alles neu – wirklich alles? Unsere Welt? Unser Leben? Mich selbst?
Manchmal wünschen wir uns genau das: einen Neustart, einen Reset-Knopf. Und manchmal macht uns dieser Satz eher Angst. Denn nicht alles Alte würden wir freiwillig hergeben. Manches ist uns vertraut geworden – selbst dann, wenn es weh tut.
Die Jahreslosung steht am Ende der Bibel, in der Offenbarung des Johannes. Sie steht nicht am Anfang, nicht bei der Schöpfung, sondern am Ziel. Nach Leid, nach Tränen, nach Chaos, nach Zerbruch. Genau dahin sagt er dies.
Und Gott sagt nicht: Ich repariere ein bisschen. Er sagt: Ich mache alles neu.
1. Neu heißt nicht: alles weg
Neu – das heißt in der Bibel nicht: alles Alte wird ausgelöscht. Gott ist kein Zerstörer der Vergangenheit. Er ist ein Verwandler.
Vielleicht hilft uns ein Bild, das viele von uns kennen: die Nordsee. Wer mich kennt, weiß, dass ich ja eher ein Ostsee-Fan bin, aber um die Jahreslosung etwas begreifen zu können, hilft mir ausnahmsweise mal die Nordsee.
Wer einmal am Meer war, kennt dieses Staunen. Eben noch war alles Wasser. Wellen, Tiefe, Weite. Und dann – Stunden später – ist das Meer weg. Watt. Schlamm. Boden unter den Füßen.
Was passiert da?
Das Meer ist nicht verschwunden. Es ist auch nicht kaputt. Es hat sich zurückgezogen. Und plötzlich wird etwas sichtbar, das vorher verborgen war.
Das Watt ist kein endgültiger Zustand. Es ist ein Zwischenraum. Ein Raum der Möglichkeit.
2. Gottes Neuschaffen geschieht oft im Zwischenraum
„Siehe, ich mache alles neu“ – das klingt nicht nach einem lauten Knall. Nicht nach einem schnellen Wunder. Oft beginnt das Neue genau dort, wo sich etwas zurückzieht.
Vielleicht kennen Sie solche Zeiten:
– Ein Lebensabschnitt endet.
– Eine Beziehung verändert sich oder bricht ab.
– Ein Plan geht nicht auf.
– Eine Sicherheit trägt nicht mehr.
Plötzlich fühlt sich das Leben an wie Watt. Unübersichtlich. Matschig. Man weiß nicht so recht, wo man hintreten soll.
Und wir fragen: Wo ist Gott jetzt? Warum zieht sich das Wasser zurück?
Vielleicht gerade deshalb. Weil Gott im Freilegen arbeitet. Weil Neues nur entstehen kann, wenn etwas Platz bekommt.
Auch wir stehen als Gemeinde in diesem Neuen. Ab morgen sind wir eine Gesamtkirchengemeinde. Es verändert sich etwas. Nicht nur der Name, sondern die Zusammenarbeit, das Miteinander, die Beziehungen werden neu. Und Gott? Gott bleibt in alledem. Gott ist der Beständige. Gott ist das Zentrum. Das Herz, dass auch im Großen für seine Menschen weiterschlägt. Und Gott ist der, der verbindet auch über die Ortsgrenzen hinaus. Eine Zusage. Ein Trost. Eine Perspektive.
Was heißt das konkret für unser Leben?
„Ich mache alles neu“ heißt:
– Gott ist nicht fertig mit dieser Welt.
– Gott ist nicht fertig mit unserer Geschichte.
– Gott ist nicht fertig mit uns.
– Gott ist nicht fertig mit dem wie Kirche sich verändert.
Auch nicht mit dem, was festgefahren scheint. Auch nicht mit dem, was sich alt, müde oder beschädigt anfühlt.
Im Watt sieht man plötzlich: kleine Krebse, Muscheln, Spuren im Sand. Leben, das vorher vom Wasser verdeckt war.
Vielleicht heißt Gottes Neuschaffen für uns:
– Alte Verletzungen dürfen endlich angeschaut werden.
– Fragen dürfen gestellt werden, ohne sofort Antworten zu haben.
– Wir müssen nicht alles überspielen mit Aktivität und Lärm.
Gott wirkt nicht nur in der Flut. Er wirkt auch in der Ebbe.
Und was bedeutet das für mich selbst?
Vielleicht ganz persönlich:
– Ich muss nicht bleiben, wie ich bin.
– Aber ich muss mich auch nicht selbst neu erfinden.
– Ich darf mich Gott aussetzen – wie das Watt dem Meer.
– Ich darf und muss mich auch den Veränderungen stellen, selbst wenn sie mit Trauer benetzt sind.
Das Watt weiß: Das Wasser kommt wieder. Nicht als Bedrohung, sondern als Vollendung.
So ist Gottes Verheißung kein billiger Trost. Sie sagt nicht: Alles wird sofort gut. Aber sie sagt: Nichts bleibt sinnlos alt.
Gott spricht: „Siehe“ – schau hin. Nicht weg. Hin auf das, was sich gerade verändert. Hin auf das, was freiliegt. Hin auf dich selbst.
Hoffnung mit offenen Händen
Am Ende der Offenbarung wird nicht alles überschwemmt und ausgelöscht. Am Ende wohnt Gott bei den Menschen. Tränen werden abgewischt. Nicht vergessen – aber geheilt.
Wie das Meer kommt, nicht um das Watt zu zerstören, sondern um es neu zu umarmen.
„Siehe, ich mache alles neu.“
Vielleicht ist das keine Drohung. Sondern eine Einladung. Eine Einladung, dem Zwischenraum zu vertrauen. Der Zeit, in der noch nicht klar ist, wie es weitergeht. Aber klar ist, wer trägt.
„Jesus Christus, gestern und heute und auch derselbe in Ewigkeit.“ Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem HERRN und Heiland. Amen.